EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Elternarbeit im Brennpunkt – über ernstgemeinte interkulturelle Arbeit und Eltern als Partner

Elternarbeit in Brennpunkten ist nicht einfach. Hier kommen unterschiedliche Herausforderungen zusammen – wie die Sprache, Vorbehalte gegenüber der Schule, Schul-Bildungsferne und Verunsicherung. Gleichzeitig sind die Eltern wichtige Partner in der Schullaufbahn ihrer Kinder. Wir haben eine Grundschule in Duisburg-Hochfeld besucht und ihre Schulleiterin Jennifer Poschen beschreibt im Interview wie es möglich ist, sich auch schwer erreichbaren Eltern zu nähern – in erster Linie durch ernstgemeinte interkulturelle Arbeit.

Wie hat sich die Elternarbeit in den 13 Jahren, die Sie hier an der Schule sind, verändert?

Jennifer Poschen: Grundlegend! Es gab früher schon Lehrkräfte, die einen guten Draht zu Eltern hatten, aber nicht flächendeckend. In den vergangenen Jahren hat sich die Zusammensetzung der Elternschaft stark verändert.  Inzwischen ist es so, dass wir verschiedene außerunterrichtliche Angebote für Eltern, mit Eltern, durch Eltern etabliert und eine Unterstützung durch Eltern in den Klassen haben. Dadurch ist die Elternarbeit eine andere geworden. Sie ist tief in unserer Arbeit verankert. Wir haben z.B. ehemalige Eltern, die hier ehrenamtlich tätig waren, inzwischen in festen Arbeitsverträgen z.B. als Integrationshilfe. Das ist eine enorme Unterstützung auf verschiedenen Ebenen: 1. Die Lehrkraft hat Unterstützung im Unterricht. 2. Die Kinder haben eine weitere Ansprechpartnerin oder einen weiteren Ansprechpartner. 3. In Gesprächen mit Eltern können wir so auch mehrsprachig agieren und Eltern können Eltern auf einer anderen Ebene ansprechen. Unser Team bemüht sich immer, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Trotzdem ist es im Empfinden unserer Elternschaft etwas Anderes, ob eine Lehrkraft dir etwas sagt – da ist ein Gefälle drin – oder Eltern auf dich zugehen und dir sagen, was in Schule wichtig ist und was gerade los ist. Das erzeugt ein anderes Vertrauen. Wenn ich mit den Eltern spreche, hängt es von vielen Faktoren ab, wie es wahrgenommen wird: Eltern, die hier langjährig tätig sind, mit denen ist es ein Miteinander auf Augenhöhe. Wir nehmen uns in den Arm und duzen uns alle. Wenn ich aber in Elterngesprächen bin, in denen es um Probleme geht, dann bin ich die Rektorin, egal wie ich mich um Augenhöhe bemühe. Unsere Elternarbeit ist daher ein wichtiges Bindeglied und so erreichen wir noch mehr Eltern, die sich dann engagieren.

Was sind mit Blick auf die Elternschaft hier in der Schule die größten Herausforderungen für Sie und Ihr Team?

Poschen: Eine Herausforderung ist die Sprache. Wir haben inzwischen viele Möglichkeiten zu übersetzen, aber nicht immer. Eine zweite Herausforderung ist die Schulbildungsferne mancher Familien. Hier kommen mehrere Aspekte zusammen: Zum Teil haben Eltern selbst sehr schlechte Erfahrungen mit Schule gemacht. Andere denken wiederum, dass es ausreicht, wenn das Kind seinen Namen schreiben kann. Es fehlt das Verständnis, für die Schulpflicht und warum Kinder wirklich jeden Tag in die Schule gehen sollen. An der Stelle ist es wichtig, in die Kommunikation zu kommen. Mit Blick auf Schulbildung gibt es aber auch Unterschiede zwischen den Communities. Eine Herausforderung ist auch, dass diese sich manchmal untereinander nicht verstehen. Zusätzlich gibt es familiäre Clans, bei denen wir oft keine Möglichkeit haben, von außen reinzukommen. An solchen Standorten wie unserem können wir nur ein Miteinander erzeugen, wenn wir ein Wissen um die Kultur, die Nationalität, die Herkunft, die Erlebnisse der Familien aufbauen.

Sie haben sicherlich auch Eltern an Ihrer Schule, die auch Sie nicht erreichen und die fernbleiben. Mit welchen Angeboten ist Ihnen gelungen, auch diesen Eltern näherzukommen?

Poschen: Es gibt auch bei uns Eltern, die einfach fernbleiben, manchmal auch aus nachvollziehbaren Gründen. Aber oft ist es so, dass die Familien mehrere Kinder haben und wenn dann das zweite oder dritte Kind der Familie hier in der Schule ist, verändert sich die Situation manchmal darüber. Manchmal haben wir aber auch einfach Glück, dass wir hier eine Aktion starten, bei der wir gar nicht damit gerechnet haben, Menschen am anderen Ende zu erreichen und sie sind dann plötzlich da. Wir hatten hier an der Schule z.B. einen Trödelmarkt von Eltern für Eltern und plötzlich stand dort eine Mutter, die ich vorher nur sehr selten gesehen hatte und die Hosen für ihren Sohn suchte. Und auch beim nächsten Elterngespräch war sie dann da. Es war, als wäre ein Knoten geplatzt. Das kann man nicht voraussagen.

Ein Beispiel ist auch unser Iftār: Einmal im Ramadan bieten wir hier in der Schule das Mahl am Abend während des Fastenmonats an. Als Schulgemeinschaft gestalten wir zusammen das Fastenbrechen. Dieses Jahr hatten wir über 200 Gäste. Es ist einfach wichtig für eine Schulgemeinschaft wie unsere, dass man nicht nur erzählt, dass die Schule interkulturell und interreligiös ist, sondern dass man es lebt und auch dafür einsteht. Ich habe immer gesagt, wenn Eltern einer Religion oder Kultur mit dem Anliegen zu mir kommen, ein Fest zu gestalten oder etwas zu zelebrieren und mir glaubhaft versichern können, dass sie die Manpower dafür haben, dann unterstütze ich das Vorhaben und bleibe an ihrer Seite. Es muss ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein. Eine Schule kann nicht erwarten, dass beim Sportfest Eltern aushelfen, wenn man auf der anderen Seite nicht möchte, dass Eltern ins Gebäude kommen. Das funktioniert nicht.

"Egal welche Sprache man spricht, egal ob jung oder alt, egal ob Analphabet oder mit einer anderen Herausforderung. Wir machen das zusammen, weil es schön ist und Spaß macht. Das verstehe ich unter niederschwellig."

Was hat sich durch die Entwicklung zum Familiengrundschulzentrum an ihrer Schule verändert?

Poschen: Wir sind seit zwei Jahren ein Familiengrundschulzentrum. Unsere Angebotspalette ist größer geworden, im Nachmittagsbereich, im Abendbereich und am Wochenende. Durch die Lernferien, die wir hier bei uns am Standort haben, können wir nun auch in den Ferien etwas anbieten. Dazu kommt noch unsere einzigartige Fachkraft im FGZ. Das ist der Rob, der ist eine Institution in Hochfeld. Viele können nichts mit dem Begriff Koordinator des FGZ anfangen. Das interessiert hier keinen. Sondern: Wo ist Rob? Er ist durch die Art, wie er die Dinge macht, mit welcher Haltung, einfach ein Mehrgewinn und darüber erreichen wir noch mehr Menschen. Dadurch, dass wir Angebote anbieten können, wie z.B. samstags in die Boulderhalle zu gehen, können wir den Menschen ihr eigenes Lebensumfeld näherbringen. Das schafft Vertrauen. Wir können zudem mehr Kontakt zu den Kindergartenkindern aufbauen. Natürlich wäre der Spielraum größer, wenn wir mehr Geld hätten, aber Ressourcen sind immer knapp. Für uns ist das Familiengrundschulzentrum an diesem Standort ein totaler Gewinn.

Ein Merkmal von Familiengrundschulzentren ist die Niedrigschwelligkeit. Was heißt das für Sie?

Poschen: Letztes Jahr im Herbst haben sich Eltern gewünscht, Drachen zu bauen und steigen zu lassen. Ich fand die Idee sehr gut und dazu war es noch ein Wunsch der Eltern. Es kamen erstaunlich viele Menschen zusammen. Dabei waren ein paar Faktoren ausschlaggebend: Die Erwachsenen machen etwas mit ihren Kindern gemeinsam, man hat ein großartiges Endprodukt und freut sich einfach des Lebens. Jeder konnte mitmachen: Egal welche Sprache man spricht, egal ob jung oder alt, egal ob Analphabet oder mit einer anderen Herausforderung. Wir machen das zusammen, weil es schön ist und Spaß macht. Das verstehe ich unter niederschwellig. Zudem hat die Aktion bei uns in der Schule stattgefunden. Aber nicht in der Institution Schule, sondern im Gebäude. Das macht einen Unterschied, da wir immer noch Eltern haben, die Hemmungen haben, die Schule zu betreten. Wenn man das Gebäude dann aber mit einer schönen Aktion verbindet und positive Erfahrungen sammelt, ist der nächste Gang nicht mehr so schwer. Daraus kann sich etwas Neues entwickeln.

Oder Weihnachten vor zwei Jahren haben wir einfach Plätzchen gebacken. Die Bude war voll. Wir haben immer wieder Teig nachgemacht. Es waren Menschen hier, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Wir haben Weihnachtslieder aus verschiedenen Kulturen gesungen und haben uns mit Händen und Füßen verständigt. Es war großartig.

Wenn Sie in den nächsten Jahren nach den Sternen greifen könnten, was würden Sie sich wünschen, was vom Himmel fallen sollte für Ihre Schule?

Poschen: Wir haben als Team die Vision eines Campus. Eine Vision muss ja immer groß sein. Wir möchten es schaffen, dass wir hier in Hochfeld einen Bildungscampus haben, oder wie auch immer man das nennt. Die Idee ist, dass man dort von der Schwangerschaftsbegleitung bis zum Berufseinstieg einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin hat und somit eine Bildungskette entsteht. Die Kinder und Jugendlichen sowie ihre Familien sollen sich auf diesen Campus verlassen können und immer im Hinterkopf haben, dass sie dort Hilfe bekommen. Das ist die Vision. Aber sie soll bitte nicht zu schnell vom Himmel fallen. So ein Projekt braucht Zeit und Begleitung. Und wir wollen das Tempo, die Struktur und auch die Haltung vorgeben.

Bei vielen Angeboten der Primärprävention ist die kommunale Koordinierung wichtig. Zum Beispiel Angebote wie der Open Sunday funktionieren sonst nicht. Wenn jede Schule sich selbst darum kümmern müsste, an welchem Sonntag ein Angebot in welcher Turnhalle stattfinden kann, dann ist das kaum umzusetzen. Wenn dieses Vorhaben aber über Kommune, Stadt, Sportbund etc. unterstützt und koordiniert wird, dann ist das für die Schulen eine Entlastung. Denn wenn eine Fachkraft an einem FGZ mit einer halben Stelle tätig ist und sich die Hälfte ihrer Zeit mit Administration, mit Mittelakquise und den unterschiedlichen Förderrichtlinien der unterschiedlichsten Kostenträger beschäftigen muss, dann ist das unter dem Gesichtspunkt der vorhandenen Ressourcen nicht effizient. Das heißt, wir brauchen erstens einfache und klare Förderprogramme und zweitens Kommunen, welche die Programme koordinieren und die Fachkräfte vor Ort so weit wie möglich entlasten. Da kann die Kommune eine ganze Menge tun.

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Marisa Klasen, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Duisburg
Schule: GGS Hochfelder Markt