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Familiengrundschulzentren im Spiegel der Wissenschaft

07.12.2021

Mit dem 9. Familienbericht der Bundesregierung und zwei Studien zur Familienbildung und Familienberatung in Deutschland bzw. NRW nehmen in diesem Jahr drei maßgebliche Berichte zur Familienbildung Bezug auf die Idee der Familiengrundschulzentren. Wir haben Ihnen im Folgenden die wesentlichen Passagen aus allen drei Berichten zusammengefasst. Wir freuen uns über diese Entwicklung einfach sehr.

Foto: bmfsfj.de

9. Familienbericht der Bundesregierung: Eltern sein in Deutschland
Eltern sein in Deutschland ist der Titel des 9. Familienberichts der Bundesregierung, der 2021 veröffentlicht wurde. Eine Sachverständigenkommission unter Vorsitz von Prof. Dr. Sabine Walper, DJI, die den Bericht erarbeitet hat, hat sich binnen zwei Jahren intensiv mit der Situation von Eltern und Kindern auseinandergesetzt und Empfehlungen erarbeitet, wie Politik Familien noch wirksamer unterstützen kann. Eine Empfehlung lautet, Familienzentren auszubauen und an Schulen zu verankern.

Leitgedanken: Eltern sollten entlastet und befähigt werden
Aufgrund dieser Diagnose hat die Sachverständigenkommission folgende Leitgedanken für ihre Empfehlungen benannt: Eltern sollten zum einen entlastet, aber Familien auch befähigt werden. Verantwortungspartnerschaften sollten gestärkt werden, da sie für Familien ein gutes Netz und Unterstützungsangebote bereithalten. Politik für Familien sollte eine Sozialinvestition sein, die den Fokus auf Prävention und Wirkungsorientierung richtet.

Ausgangslage: Intensivierung von Elternschaft, Diversität und soziale Ungleichheit
Die Kommission stellt ihrem Bericht und ihren Empfehlungen zunächst eine Diagnose voran, die die Bestrebungen Familiengrundschulzentren einzurichten, einbettet. Die Diagnose lautet: Die Ansprüche und Anforderungen an Eltern steigen. International wird von der Intensivierung von Elternschaft gesprochen. Zudem zeigt sich eine größere Diversität in Familien. Auf diese müssen auch Institutionen wie Kita und Schule reagieren. Ihre Beratungs- und Unterstützungsangebote sollten dieser Diversität gerecht werden. Als dritten und abschließenden Punkt benennt die Kommission die wachsende soziale Ungleichheit sowie Heterogenität der Lebenslagen. Diese würden maßgeblich die Entwicklungschancen der Kinder bestimmen. In einem Videovortrag bei der Auftaktveranstaltung für Familiengrundschulzentren im Ruhrgebiet sagt Prof. Dr. Walper dazu: „Wir müssen mit der Gefahr rechnen, dass sich soziale Ungleichheiten verfestigen. Wir sehen zudem viele Eltern, die an der Belastungsgrenze sind.“

Empfehlung im 9. Familienbericht für den Ausbau von Familienzentren
In diesem Sinne empfiehlt die Kommission als eine Maßnahme um Eltern zu befähigen, Familienzentren auszubauen und an Schulen zu verankern. Die Empfehlung lautet wie folgt:

“Mit dem Ausbau der Familienzentren an Kitas wurde der Versuch unternommen, Beratungsinfrastruktur dort anzusiedeln, wo Eltern über ihre Kinder leichte Zugänge zu den Angeboten finden. Dieses Modell hat sich sehr bewährt und den Weg zur Inanspruchnahme geebnet. Entsprechend sollte es weiter ausgebaut werden. Dem Vorteil, dass damit Familienbildung und -beratung ihre angestammten institutionellen Orte verlassen und an Bildungseinrichtungen angesiedelt werden, steht allerdings auch der Nachteil gegenüber, dass diese Bildungseinrichtungen nur für eine begrenzte Bildungsetappe der Kinder zuständig sind. Verlassen die Kinder diese Einrichtung, geht oftmals auch der Kontakt zum Familienzentrum und dessen Fachkräften verloren. Entsprechend wichtig ist es, Anschlüsse zu ermöglichen. Da gerade im Schulalter ein erhöhter Beratungsbedarf der Eltern entsteht, liegt es nahe, das Modell der Familienzentren auch für Schulen in Betracht zu ziehen. Bislang existieren hierzu nur wenige Modellversuche. Diese Einschätzung deckt sich mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins, der eine Anbindung von Familienzentren an andere Einrichtungen, wie Mehrgenerationenhäuser und Grundschulen für gewinnbringend hält, wenn Familien mit älteren Kindern oder ein spezifisches Leistungsspektrum im Fokus der Arbeit von Familienzentren stehen sollen (Deutscher Verein, 2020). Um auf breiterer Basis Erkenntnisse zur Tragfähigkeit von Familienzentren an Schulen zu gewinnen, sollte ein bundesweites Modellprogramm an unterschiedlichen Standorten initiiert werden. Die Evaluation des Modellprogramms soll Aufschluss geben über Vor- und Nachteile dieser Lösung im städtischen und ländlichen Raum, in Ost- und Westdeutschland mit seinen unterschiedlichen institutionellen Traditionen, und in Einzugsgebieten mit unterschiedlicher Sozialstruktur bzgl. des Anteils zugewanderter Familien, sozioökonomischer Ressourcen der Eltern und der Familienstruktur.“

Studien zur Familienbildung und Familienberatung in Deutschland und NRW
Die Analysen und Empfehlungen des 9. Familienberichts spiegeln sich auch in einer Studie zur Familienbildung und Familienberatung in Deutschland wider. Diese wurde vom Bundeministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben und 2021 von der Prognos AG verfasst. In der umfassenden Bestandsaufnahme werden Strukturen, Zielgruppen, Themen und Angeboten der Familienbildung und Familienberatung dargestellt. Mit Blick auf die Angebote der Familienbildung und -beratung definieren die Verfasser mehrere Handlungsfelder und Orientierungspunkte für die Weiterentwicklung der Einrichtungen und ihrer Arbeit. Im Handlungsfeld „Kooperationen” kommen die Verfasser zu folgendem Schluss:

“In der Studie werden Jugendämter als zentrale Kooperationspartner identifiziert. Jedoch deuten die Ergebnisse darauf hin, dass in den Kooperationen mit den Jugendämtern der Informationsaustausch im Vordergrund steht. Es gibt nur wenig Hinweise, dass Jugendämter mit Blick auf die Familienbildung eine Steuerungsfunktion ausüben. Deshalb unterstützen die hier getroffenen Befunde den Ansatz, der im Neunten Familienbericht formuliert wurde: Es ist wichtig, Familienbildung stärker in die kommunale Planung der Kinder- und Jugendhilfe einzubeziehen.”

Empfehlung: Konzept der Kitas für Grundschulen weiterentwickeln
Die Kooperationen mit Kitas und Frühen Hilfen wiederum haben sich laut Studie als besonders wirksam erwiesen: sie erreichen die Zielgruppe der Eltern und sind oftmals etabliert. Die Verfasser schlagen daher vor, das Konzept der Familienzentren an Kitas im Rahmen einer Weiterentwicklung auf den Grundschulbereich zu übertragen. Ziel könne es sein, Familienbildung und Familienberatung stärker mit den Schulen zu vernetzen, um Familien mit älteren Kindern verstärkt zu unterstützen.

NRW: Familienbildung sollte stärkere Rolle an Schulen einnehmen
Es ist nicht überraschend, dass die Ergebnisse der vom BMFSFJ in Auftrag gegebenen Studie auch mit Blick auf Nordrhein-Westfalen nicht anders ausfallen. So kommt die ebenfalls von der Prognos AG im Auftrag des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführte Evaluation zur Familienbildung in NRW auch zum Ergebnis, dass die Kooperation mit Schulen ausgebaut werden könnten. So konstatieren die Autoren mit Blick auf die Familienbildung folgendes:

„Kooperationen mit Schulen: Aktuell verfügt jede zweite Familienbildungsstätte über Kooperationen mit allgemein- und/oder berufsbildenden Schulen. Im Vergleich zu den Kooperationen mit den Familienzentren sind Kooperationen mit Schulen deutlich seltener. Mit Blick auf die Entwicklungen im Schulsystem und den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder sollte geprüft werden, inwieweit Familienbildung eine stärkere Rolle an Schulen übernehmen kann. Dies würde auch dazu beitragen, dass Familienbildung stärker Familien mit älteren Kindern in den Fokus nimmt.”

Wie schon zu Beginn gesagt: Wir freuen uns sehr, dass Familiengrundschulzentren in diesen drei Berichten als ein Schlüssel gesehen werden, Eltern auch nach der Kita-Zeit zu unterstützen. Wir sind nun gespannt, was das kommende Jahr in diesem Hinblick zu bieten hat und werden die Idee der Familiengrundschulzentren weitertragen.

Gregor Entzeroth und Marisa Klasen, Wübben Stiftung