EINBLICKE IN DIE PRAXIS

„Ich sehe dich. Ich bin da“ – Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams

Entsteht ein neues Familiengrundschulzentrum, entstehen dadurch auch neue Strukturen an einer Grundschule, neue Chancen und neue Herausforderungen. Wie kann Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams gelingen? Wie geht man mit Widerständen um? Wie kann man als Team den Prozess gestalten und reflektieren? Das haben wir Christina Terfurth gefragt. Sie ist u.a. in der Leitungskräftefortbildung beim QUA-LiS NRW tätig und war Referentin bei unserer Fachveranstaltung: „Umgang mit „Widersacherinnen“ und „Widersachern“ – die Kunst, Widerständen konstruktiv zu begegnen“.

Eine Grundschule ist ein Ort mit vielen unterschiedlichen Professionen. Wenn nun ein Familiengrundschulzentrum zu diesen gewachsenen Strukturen hinzukommt, wie kann die Integration gut gelingen?

Christina Terfurth: Diese zentrale Frage ist bereits der Beginn der Antwort. Es ist essenziell, dass sich alle Beteiligten gemeinsam genau diese Frage stellen.

Stellen Sie sich ein Mobile vor: Ein in sich verbundenes, stetig in Bewegung befindliches Gefüge, das nun um einen neuen Ast erweitert werden will, soll. Wie kann eine neue dynamische Balance entstehen? Was braucht wer, um sich diesem Veränderungsprozess öffnen und zuwenden zu können? Wieviel verlässliche Struktur (und damit Orientierung, Sicherheit) braucht es und wieviel lebendiger Prozess (und damit Raum für Kreativität, Weiterentwicklung, Transformation) darf sein? Die Antworten sind gewiss an allen Orten verschieden. Werden sie für alle Beteiligten kontinuierlich in Blick genommen, überprüft und weiterentwickelt, ist ein vertrauensbildender Anfang gemacht. Selbstbestimmte Umgangsweisen, stetige Rückkoppelungsverfahren und Feedback fördern das Gelingen.

Welchen Rat würden Sie einer neuen Leitung eines Familiengrundschulzentrums für ihre ersten 100 Tage im Amt geben

Christina Terfurth: Kontakt, Kontakt, Kontakt und Zuhören, Zuhören, Zuhören. In beide Richtungen. Nach innen und nach außen.

Wie sieht mein eigenes, inneres, professionelles Bild für die neue Position, Rolle und Aufgabe aus? Welche Bilder haben die Beteiligten im System, in den angrenzenden Systemen? Entsprechen sich die Bilder? Gibt es Kongruenzen? Irritationen? Welche gemeinsamen Perspektiven können wir im Abgleich der inneren und äußeren Konstruktionen formulieren? Auf der Grundlage eines solchen (Klärungs-)Prozesses kann Schritt für Schritt eine konstruktive, für alle Beteiligten wirkungsvolle Zusammenarbeit entstehen. Der Kompass ist die gemeinsame Zielgruppe der Kinder und deren Familien – dauerhaft über die 100 Tage hinaus …

„Kontakt, Kontakt, Kontakt und Zuhören, Zuhören, Zuhören. In beide Richtungen. Nach innen und nach außen.“

Wie können multiprofessionelle Teams erfolgreich zusammenarbeiten? Welche Tipps haben Sie und was wären passende Adjektive?

Christina Terfurth: Mindestens drei „Schlüssel“, „Tipps“ gibt es: Eine Haltung gelebter, spürbarer Partizipation, die in einem lebendigen Miteinander auf Augenhöhe ihren Ausdruck findet; das Gewahrsein eines gemeinsamen Zieles, das so lebendig ist, wie die Beteiligten selbst und – die Freude auf und über potentielle Synergien, die besonders dann entstehen können, wenn die verschiedenen Professionen als bereichernd, perspektiverweiternd und komplementär eingebracht und wertgeschätzt werden.

Sie fragen nach Adjektiven, nach dem „Wie“ der erfolgreichen Zusammenarbeit. Wie schön, wenn sie geprägt ist von Qualitäten wie: Wohlwollend, neugierig, entwicklungsoffen, experimentierfreudig, risikobereit, humorvoll, ebenwürdig SEIN.

In einem solch neuen Prozess trifft man sicherlich an der ein oder anderen Stelle auf „Widersacherinnen“ und „Widersacher“. Welche Empfehlung haben Sie für den Umgang mit ihnen?

Christina Terfurth: „Widersacherin, Widersacher“ ist ein spannendes Wort. Eine Frage, die mir darin enthalten zu sein scheint, ist: „Wie gelingt es uns, „wieder zur Sache“ zu kommen?“ Der Habitus der/des „Widersachenden“ ist häufig mit Ausdrucksformen des Widerstands verknüpft. Sie sind Ausdruck dahinter liegender, meist als bedroht erlebter Bedürfnisse. Kann ich die Bedürfnisse hinter den oft als zurückweisend oder sperrig erlebten Positionen erkennen? Kann ich mit einer gesunden Verbindung aus Empathie, Wertschätzung und Klarheit Ängste abbauen helfen und konstruktive Wege eröffnen? Die dahinter liegende Haltung erinnert mich an einen Gruß, den ich in Tansania kennengelernt habe: „Ich sehe Dich.“ Die Antwort darauf lautet: „Ich bin da.“ Besser geht es nicht.

Christina Terfurth

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