EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Lotse und Helfer in der Not

Familiengrundschulzentren wollen auf Augenhöhe Eltern als Bildungspartner ihrer Kinder gewinnen. Sie versuchen mit niederschwelligen Angeboten, Eltern den Zugang zu Schule zu erleichtern und Schule mit positiven Erfahrungen zu verbinden. Dadurch haben Familiengrundschulzentren eine besondere Nähe zu Eltern und können diese auch nutzen, um Eltern auf weitere Angebote im Sozialraum aufmerksam zu machen. „Das Jugendamt ist oft noch sehr negativ behaftet für Eltern. Sie sehen nicht die Hilfe, sondern haben eine diffuse Angst“, sagt Denise Runge, Leiterin des Familiengrundschulzentrums an der Mammutschule in Ahlen. Diese Barrieren könne das Familienzentrum abbauen und Vertrauen schaffen.

Familiengrundschulzentren wird oft eine Lotsenfunktion im Sozialraum zugeschrieben.  Wie genau funktioniert das?

Denise Runge: Zunächst ist es wichtig, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Das passiert tatsächlich durch niedrigschwellige Angebote wie Elternfrühstücke, Elterncafés, Handarbeitskreise, Nähkurse. So schafft man eine Vertrauensbasis zu Familien und sie wissen dann, dass sie in mir eine Ansprechpartnerin haben, der sie sich anvertrauen können. Parallel zu dieser Beziehungsarbeit läuft der Aufbau eines Partner-Netzwerkes. Dadurch, dass das Familiengrundschulzentrum hier an der Mammutschule in kommunaler Trägerschaft ist, haben wir direkte Ansprechpartner im Jugendamt beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). Auch alle Wohlfahrtsverbände gehören inzwischen unserem Netzwerk an. Hier im Stadtteil kooperiert das Familiengrundschulzentrum z.B. mit dem Jugend- und Kulturhaus direkt neben der Schule. Wir können dort die Räumlichkeiten nutzen. Das war für uns in der Pandemie eine große Hilfe, da in der Schule ein Betretungsverbot für Eltern galt. Das galt so nicht im Jugend- und Kulturhaus und somit konnten dort mit Hygienekonzept auch Kurse während der Pandemie stattfinden. Der Nähkurs zum Beispiel und das Elterncafé.

Wenn Eltern Vertrauen aufgebaut haben, dann kommen sie auch tatsächlich zu mir. Sie erzählen oder berichten mir von ihren Problemen. Sie wissen, dass sie bei mir Hilfe bekommen und ich kurze Wege habe, weil ich direkte Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei entsprechend unterstützenden Institutionen in der Kommune und im Sozialraum habe. Ich kann dadurch schnell für Eltern Termine vereinbaren. Erstkontakte zwischen den Eltern und anderen helfenden Akteuren wie Erziehungsberatungsstellen oder Mitarbeitenden des Jugendamts können dann, außerhalb der Pandemie, hier im Familienzentrum stattfinden. Das Jugendamt ist oft noch sehr negativ behaftet für Eltern. Sie sehen nicht die Hilfe, sondern haben die diffuse Angst, dass man ihnen die Kinder wegnehmen könnte. Diese Ängste muss man erst einmal abbauen. Das klappt viel besser hier vor Ort. Viele Eltern wissen auch einfach nicht, wie sie ihre Probleme formulieren oder artikulieren sollen. Sie entbinden mich dann der Schweigepflicht und ich begleite sie zu Erstterminen.

„Ich höre mir jedes Anliegen an und berate persönlich oder telefonisch. Meistens finden wir eine Lösung.“

Mit welchen Herausforderungen und Problemen kommen die Eltern denn zu Ihnen?

Das ist eine große Bandbreite. Es geht von finanziellen Problemen, wirklich massiven finanziellen Problemen, über hohe Mietrückstände und die Angst, die Wohnung zu verlieren bis hin zu Diskussionen mit dem Energieversorger. Es besteht eine reelle, existenzbedrohende Gefahr. Viele Eltern wissen zum Beispiel gar nicht, dass man Ratenzahlungen vereinbaren kann und derartige Dinge. Hinzu kommen Erziehungsprobleme oder psychische Probleme der Eltern. Unsere Eltern wissen in solchen Fällen nicht, welche Hilfe ihnen zusteht. Dass es zum Beispiel einen psychiatrischen Pflegedienst gibt, der im Falle eines depressiven Rückfalls die Familie unterstützt, ohne dass die Nachbarschaft das sieht. Von solchen Hilfen weiß kaum jemand. In der Pandemie kam es auch zu Gewaltsituationen in Familien. Auch dafür gibt es hier vor Ort einen Verein: Frauen helfen Frauen. Für Opfer aus gewaltsamen Eingriffen innerhalb der Familie.

Sie haben eben erwähnt, dass man erst einmal Ängste und Vorurteile abbauen muss, damit es eine Öffnung bei den Eltern gibt. Wie machen Sie das konkret?

Ich glaube an Mund-zu-Mund-Propaganda. Wenn eine Familie die Erfahrung macht, dass hier im Familienzentrum wirklich geholfen wird, dann spricht sich das schnell herum. Man motiviert vielleicht eine Nachbarin, bei der man das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt, sich zu melden. Häufig bekomme ich jetzt Anrufe, wo der Gegenüber auf der Suche nach jemanden ist, der Ahnung hat. Ich höre mir jedes Anliegen an und berate persönlich oder telefonisch. Meistens finden wir eine Lösung.

Würden Sie sagen, dass es von Vorteil war, jetzt in Ihrem Fall, dass sie bei der Stadt angestellt sind?

Ich glaube, dass es für alle Familiengrundschulzentren hier in Ahlen wirklich wichtig war, dass das Erste in kommunaler Trägerschaft war. Man hatte den gleichen Arbeitgeber und die Wege waren kurz. Ich glaube, dass das auch allen anderen Familiengrundschulzentren hier in Ahlen die Arbeit leichter macht.

Wenn Sie mit Partnern kooperieren, wie sichern Sie die Verbindlichkeit beispielsweise bei bestimmten Kooperationsangeboten?

Das ist von Träger zu Träger unterschiedlich. Mit einem Träger gibt es eine schriftliche Kooperation. Mit anderen sind diese mündlich. Das Familiengrundschulzentrum bekommt regelmäßig Flyer, die ich dann gezielt an Lehrkräfte weitergebe. Zum Beispiel gibt es Angebote für Kinder aus Trennungsfamilien. Diese Angebote hängen wir natürlich nicht aus, sondern ich spreche direkt die Lehrerinnen und Lehrer an. Das wird gut angenommen.

Wie arbeiten Sie mit Schulsozialarbeit und OGS zusammen?

Die Schulsozialarbeiterin bearbeitet zum Beispiel generell alle BUT-Anträge. Ich vertrete sie bei den BUT-Anträgen, wenn sie mal eine Woche nicht da ist. Wenn Eltern Bedarf haben, leite ich sie gleich zu der Schulsozialarbeiterin weiter. Sie ist an festen Tagen in der Schule und ich vereinbare dann einen Termin. Ich kann zudem noch an folgendem Beispiel unsere Zusammenarbeit schildern: Wir hatten einen Fall von Mobbing an der Schule und eine Mutter ist an mich herangetreten. Sie hatte auch schon mit der Klassenlehrerin gesprochen. Wir hatten dann noch ein Gespräch zu dritt. Ich habe mich im Prozess um die Mutter gekümmert. Wir haben dann noch die Schulsozialarbeiterin ins Boot geholt. Sie hat den Sachverhalt dann mit der Klassenlehrerin im Klassenverband mit den Kindern aufgearbeitet. Ich habe weiterhin die Mutter begleitet. Sie war natürlich sehr betroffen. Sie hatte große Sorge um ihr Kind. Sie hatte aber auch Wut gegenüber dem anderen Kind und musste sich stark zurücknehmen, nicht auch noch die Mutter des anderen Kindes anzusprechen. So hat die Schulsozialarbeiterin im Klassenverband mit den Kindern gearbeitet. Ich habe der Mutter Gesprächsmöglichkeiten gegeben. Sie konnte Wut abbauen, sie konnte über Ängste reden, sie konnte im Familiengrundschulzentrum weinen, ohne dass ihr Kind das mitbekommt. Und es ist gut ausgegangen. So funktioniert die Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren hier vor Ort.

Wir haben dann auch noch das Café Sorgenfrei. Die Schulsozialarbeiterin und ich laden zu speziellen Themen ein. Bei Keksen und Kaffee sprechen wir dann zu einem Thema mit den Eltern. Wir geben zu Beginn ein wenig Input. Am Ende fassen wir wesentliche Aspekte der Diskussion zusammen und im Nachhinein gibt es noch ein kleines Handout.

Was sind das beispielsweise für Themen?

Das letzte Thema war das Thema Wut. Wie gehe ich mit Wutausbrüchen meines Kindes um? Sind die berechtigt oder nicht? Wir haben das Treffen mit einem kleinen Video begonnen und dann die Diskussion eingeleitet. Die OGS betreut in dieser Zeit die Kinder der teilnehmenden Eltern. Und so können die Eltern offen und ungestört über wichtige Themen reden. Am Ende fragen wir dann unter den Eltern, was das nächste Thema werden könnte.

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Marisa Klasen und Daniela Zentner, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Ahlen
Schule: Mammutschule Ahlen