EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Vom Piloten zu vier Familiengrundschulzentren

In Ahlen gibt es 2021 inzwischen vier Familiengrundschulzentren. Das erste Familienzentrum ist in städtischer Trägerschaft gestartet, die weiteren drei in freier Trägerschaft. „Der Vorteil der städtischen Trägerschaft lag ganz klar im Lernen“, sagt Lisa Kalendruschat, Koordinatorin der Ahlener Präventionskette. Durch die engmaschige Betreuung habe man das Konzept gut ausarbeiten können.

In Deutschland hängt der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen immer noch stark von der sozialen Herkunft ab. Welche Rolle können in diesem Kontext Familiengrundschulzentren einnehmen?

Lisa Kalendruschat: In unserem Ahlener Erziehungskonsens ist mit Blick auf die Elternarbeit die Aussage formuliert worden, dass Eltern die „Experten“ der Lebenswelt ihrer Kinder sind. Eltern kennen die Umgebung ihrer Kinder und gestalten das Familienleben nach ihren Möglichkeiten, Wünschen und Bedürfnissen. Hierfür muss auch die Schule auf die wertvolle Ressource der Eltern zurückgreifen und es müssen positive Bedingungen geschaffen werden, dass die Eltern ihr Expertenwissen auch einbringen.

Der Schlüssel liegt hierbei im Aufbau positiver Beziehungen zwischen der Schule und dem Elternhaus. Hierzu spielen die Familiengrundschulzentren eine einzigartige Rolle. Familiengrundschulzentren stellen eine Brücke zur Elternschaft dar, indem sie niedrigschwellig im Sozialraum der Eltern verortet sind. Familien erfahren das Gefühl, dass sie in der Schule willkommen sind, ihre Expertise gefragt ist und knüpfen positive Gefühle zur Schule. Familiengrundschulzentren sind Orte der Begegnung, Beratung und Bildung. Familien lernen andere Familien kennen, tauschen sich in einer angenehmen Atmosphäre aus und nehmen an der Arbeit der Schule mit ihrem Kind aktiv teil. Ist eine vertrauensvolle Beziehung seitens der Familien zum Familiengrundschulzentrum aufgebaut, nehmen sie unter anderem Beratungsleistungen in Anspruch. Hierdurch können sie für sich passgenaue und hilfreiche Unterstützung für ihre individuelle Situation erfahren. Familien tut es gut, Hilfe und Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder zu erhalten. Die Familiengrundschulzentren schaffen Anreize, sich mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen, gemeinsam mit den Kindern zu lernen und neue Dinge zu entdecken. Kinder fühlen sich wohl, wenn sie sehen, dass ihre Eltern ihre Fortschritte wahrnehmen und Interesse daran zeigen. Sie brauchen die Wertschätzung ihrer Familien. Die Familiengrundschulzentren richten einen Blick auf die unterschiedlichen Startbedingungen von Kindern und setzen an dieser Stelle an.

In Ahlen ist 2017 das erste Familiengrundschulzentrum an der Mammutschule entstanden und wurde aus kommunalen Mitteln finanziert. Inzwischen gibt es vier Familiengrundschulzentren. Was hat Sie 2017 dazu veranlasst, ein erstes Familiengrundschulzentrum aufzubauen und dieses aus städtischen Mitteln zu finanzieren?

Der Aufbau des Familiengrundschulzentrums an der Mammutschule 2017 war unser Pilotprojekt. Wir, die Stadt, wollten das erstmal ans Laufen bringen und vor allem den Prozess gestalten. Wir wollten erste Angebote durchführen und natürlich erste Erfahrungen sammeln: Was ist notwendig, um ein gut funktionierendes Familiengrundschulzentrum einzurichten? Wir haben in den letzten vier Jahren viele Erfahrungen gesammelt, uns weiterentwickelt, uns evaluiert. Das erste Familiengrundschulzentrum in Ahlen hat sich herumgesprochen; In Vernetzungsgremien, in Schulleiterrunden wurde darüber gesprochen und weitere Schulen haben ihre Bedarfe angemeldet. Das war noch vor meiner Amtszeit. Daraufhin haben sich meine Kolleginnen und Kollegen entschieden, sich erneut auf den Weg zu machen. Sie hatten die Rückendeckung durch die Politik und durch die Steuerungsgruppe der Präventionskette. Es wurde geprüft, an welchen Schulen im Sozialraum es Sinn macht, noch drei weitere Familiengrundschulzentren zu etablieren, diesmal in freier Trägerschaft. Das Familiengrundschulzentrum an der Mammutschule ist ein städtisches Grundschulzentrum. Wir haben das Vorhaben damals in kommunaler Hand gestartet, um zu lernen und es engmaschig zu betreuen. Das war unser Lernprojekt. Und jetzt sind wir eben auch an der Mammutschule an dem Punkt angelangt, wo wir das Familiengrundschulzentrum in freie Trägerschaft abgeben. Wir nutzen die Trägerstrukturen vor Ort, nutzen die Expertise und begleiten natürlich kommunal weiter.

Worauf haben Sie bei der Standortwahl geachtet?

Die beteiligten Akteure haben Indikatoren zu Rate gezogen. Zudem haben wir, die kommunale Koordination, vielfältige Gespräche mit den Schulleitungen geführt. Wir haben zum Beispiel geschaut, wie die Sozialleistungsbezüge in den Stadtteilen sind, welche Schule einen besonders hohen Anteil an Familien mit Migrationshintergrund hat und haben anhand dieser Informationen ausgewählt, wo wir die nächsten drei Familiengrundschulzentren einrichten. Sicherlich hätten wir gerne allen Grundschulen ein Familiengrundschulzentrum angeboten, aber da die finanziellen Möglichkeiten dafür nicht ausreichen, haben wir eben auf der Basis von Indikatoren entschieden, wo wir hingehen. Ein Familiengrundschulzentrum ist im Norden, eins im Osten, eins im Süden und eins direkt in der Innenstadt entstanden.

Was würden Sie sagen, wo lagen Vor- und Nachteile das erste Familiengrundschulzentrum in städtischer Trägerschaft aufzubauen?

Der Vorteil lag ganz klar im Lernen. Wir haben uns zu Beginn viele Fragen gestellt: Geht dieses Konzept auf? Macht es Sinn? Wie sind die Erfahrungen? Und die Betreuung war natürlich so sehr engmaschig möglich. Bei uns in der Stadtverwaltung liegen die Familiengrundschulzentren in meinem Arbeitsbereich (Fachbereich 5 Jugend, Soziales und Integration, Koordination Präventionskette) und im Arbeitsbereich von unserem Jugendhilfeplaner. Meine Vorgängerin hat viele Gespräche geführt und sich viel angeschaut. Gerade zu Beginn war das sehr wichtig. Durch diese sehr engmaschige Betreuung konnten wir das Konzept gut ausarbeiten. Wir haben hier in Ahlen eine sehr gute und vertrauensvolle Arbeit mit unseren Trägern. Wenn wir aber von Anfang an gesagt hätten, Träger XY übernimmt das, wäre diese engmaschige Betreuung, diese Konzeptentwicklung, dieser Pilot nicht so möglich gewesen.

Würden Sie es jetzt nach vier Jahren so einschätzen, dass diese Pilotphase abgeschlossen ist?

Genau. Ich würde allerdings immer noch sagen, dass wir mit den Familiengrundschulzentren in einer Pilotphase sind, weil es generell das Konzept der Familiengrundschulzenten noch nicht lange gibt. Es sind 15 Kommunen in der Initiative Familiengrundschulzentren NRW (Stand: Juni 2021). Sie entwickeln sich weiter, aber aus meiner Sicht sind die Familiengrundschulzentren alle noch Pilotprojekte. Und ja, nach vier Jahren ist erstmal die ursprüngliche Pilotphase an der Mammutschule beendet. Zum 31. Juli 2021 läuft die Förderung aus und die Trägerschaft geht an die Arbeiterwohlfahrt (AWO) über. Aber nichtsdestotrotz wird immer noch eine enge Betreuung gewährleistet. Wir werden immer einen Blick darauf haben, an welchen Stellen wir das Konzept nachsteuern können und haben vier starke Träger an der Seite, mit denen wir das auch weiter begleiten können.

 

Sie sprechen von engmaschiger Begleitung des Vorhabens durch die Kommune. Wie sah diese konkret aus?

Zu Beginn mussten erst erstmal die Rollen gefunden werden. Das Familiengrundschulzentrum ist etwas, das zunächst von außen erstmals in einen Schulstandort reinkommt. Es ging zunächst ganz klar darum, mit der Schulleitung zu schauen, was sind die jeweiligen Rollen: was ist die Aufgabe der OGS, was ist die Aufgabe der Schulsozialarbeit, der Lehrkräfte, der Schulleiterin und was ist die Aufgabe einer Koordinationsfachkraft im Familiengrundschulzentrum. Das heißt, wir mussten wirklich bei der Basis beginnen und vor allem auch zeigen, dass das Familiengrundschulzentrum das Profil ergänzt und eine große Hilfe ist. Diese Aushandlungsprozesse ganz am Anfang waren der Ausgangspunkt für einen gelungenen Start.

Wir sind dann erstmal mit kleinen Angeboten gestartet und hatten auch personelle Veränderungen in der Aufbauphase. Das kann natürlich auch vorkommen. Mit Denise Runge hatten wir das Glück, eine Fachkraft zu finden, die mit viel Engagement tatkräftig den Aufbau des Familiengrundschulzentrums vorangetrieben hat. Ich bin ein Fan davon ganz kleinschrittig anzufangen. Ausgangspunkt war zu Beginn das Elterncafé. Es war wichtig, mit Eltern ins Gespräch zu kommen, ihre Bedarfe herauszufinden: Wer sind unsere Eltern, was wünschen sich unsere Eltern und wie können wir das umsetzen? Auf Basis dieser Bedarfsanalyse ist das Familiengrundschulzentrum gewachsen. Ein Nähkurs und ein Bastelangebot waren geäußerte Wünsche. Wir haben diese umgesetzt. Es gab auch den Wunsch nach einer Walking-Gruppe. Am Anfang war die Motivation noch groß, aber irgendwann sind dann nur noch sehr wenige aktive Mütter mitgegangen. Sie treffen sich weiterhin. Aber wir haben uns aus solchen Angeboten dann zurückgezogen.

Die kommunale Rolle dabei ist, das Ganze fachlich in den Händen zu halten. Die gesamte finanzielle Federführung liegt bei der Stadt. Unser Jugendhilfeplaner und meine Vorgängerin haben sich alle zwei Wochen mit dem Team des Familiengrundschulzentrums an der Mammutschule getroffen, als dieses gestartet ist. Wir haben die Koordinatorin auch in die Präventionskettenarbeit einbezogen, als festes Mitglied in der AG 2 (Kita- und Grundschulalter). Durch die Präventionskette konnte das Angebot des Familiengrundschulzentrums an der Mammutschule auch nochmal nach außen getragen werden. Natürlich haben wir sehr viel Öffentlichkeitsarbeit im Sozialraum betrieben und jede Möglichkeit genutzt, um das Familiengrundschulzentrum bekannter zu machen. Das war auch ein wesentlicher Teil der kommunalen Begleitung.

Diese Arbeit geht nun weiter, denn wir haben nun vier Familiengrundschulzentren. Die FGZ-Leitungen treffen sich einmal im Monat, jeden ersten Donnerstag im Monat von 14 bis 16 Uhr. Das wird durch mich organisiert. Wir haben uns bisher digital getroffen, wollen uns aber auch gerne bald wieder in Präsenz treffen. In den Austauschtreffen reden wir über Aktuelles: Gibt es bestimmte Fälle, die gerade Sorge bereiten? Einfach nach dem Motto „Vernetzen, Wissen austauschen, sich gegenseitig bereichern“. Und unter anderem ist auch die Idee der Gute-Laune-Pakete dort entstanden. Dabei handelt es sich um Umschläge mit kreativen Freizeitaktivitäten für Familien, die an den Familiengrundschulzentren abgeholt werden konnten. Dann finden noch dreimal im Jahr große Austauschtreffen statt: die vier Schulleitungen sind dabei, die Träger, alle FGZ-Leitungen und man spricht offen über vieles: Was ist bei euch gerade an der Schule los? Was belastet euch? Was läuft gut und was schlecht?

Wir arbeiten zudem gerade an einer größeren Konzeption zu Familiengrundschulzentren. Wir, die FGZ-Leitungen und ich, wollen die Familiengrundschulzentren einfach in Ahlen noch bekannter machen, stärker etablieren und wir sehen da einen Weg in einem Konzeptpapier. Was ist ein Familiengrundschulzentrum? Wie bettet sich dieses in die Präventionskette ein? Was ist die Haltung? Wo sind die Standorte? Da sind wir gerade ganz fleißig dabei, um damit auch vielleicht auf eine Bücherei zuzutreten, auf unser Jugendamt, auf Träger, um zu zeigen: Uns gibt es genauso wie die Schulsozialarbeit, wie den OGS-Bereich, wie den Verein. Wir wollen zudem einen gemeinsamen Flyer der vier Familiengrundschulzentren entwickeln. Wir haben lange überlegt, ob jedes Familiengrundschulzentrum einen eigenen Flyer für sich macht oder wir ein gemeinsames Layout anbieten. Wir haben uns für ein gemeinsames Layout entschieden. Damit wollen wir die Verbundenheit zeigen.

Sie haben nun vier Familiengrundschulzentren in Ahlen. Hat jedes Familiengrundschulzentrum sein eigenes Profil?

Es gibt tatsächlich schon Profile, die sich gerade entwickeln. Ich habe ja gesagt, die drei jüngsten Familiengrundschulzentren, die sind letztes Jahr einfach unter erschwerten Bedingungen gestartet. Die sind einfach gerade noch dabei, ihr Profil zu finden, die Bedarfe zu erfassen. Aber beispielsweise in der Diesterwegschule hat ein Großteil der Schülerinnen und Schüler eine Zuwanderungsgeschichte. Dort wird der Fokus darauf liegen, auch Spracherwerbsangebote für Eltern zu fördern, um Zugangsbarrieren abzubauen. Die Albert-Schweitzer-Schule in der Innenstadt hat wiederum einen anderen Schwerpunkt. Aber die sind gerade noch ganz stark dabei, sich selbst zu finden. Sie sind Mitte 2020 mitten in der Pandemie gestartet und konnten nicht einfach ein Eltern-Café anbieten und Bedarfe erheben. Sie sind sofort mit Einzelgesprächen eingestiegen und haben technische Hilfe im Rahmen der digitalen Umstellung des Unterrichtes angeboten.

Sie geben als Kommune sehr viel in Ihre Familiengrundschulzentren. Neben der fachlichen Expertise sind es finanzielle Mittel. Können Sie uns dort Einblicke gewähren?

Wir haben in der Tat eine gute Ausgangsposition. Wir haben die Rückendeckung durch die Politik. Bis zum 31. Juli 2024 haben wir vier Familiengrundschulzentren. Das ist ein fester Beschluss des Rates der Stadt Ahlen. Für jedes Familiengrundschulzentrum werden im Schnitt 32.000 Euro Personalkosten pro Jahr veranschlagt. Dazu gibt es einen Sachkostenetat für Programme, für Maßnahmen wie einen Schwimmbadbesuch, für gemeinsame Erlebnisse, die eine wertschätzende Atmosphäre schaffen. Ich weiß, dass das in anderen Kommunen nicht der Fall ist. Deswegen schätzen wir uns sehr glücklich. Diese Grundlagen basieren auch auf unserer Verankerung in der Präventionskette. Wir haben die Unterstützung der Steuerungsgruppe, die ihr Votum an die Politik gibt. Was für mich das Wichtigste ist, ist die Bereitschaft in den Schulen. Wir können noch so viele finanzielle Mittel in die Hand nehmen, wenn wir nicht offene Schulleitungen haben, offenes Schulpersonal, Lehrer, Lehrerinnen, die sagen: „Ja, wir machen das. Wir gehen das richtig an und wir machen das nicht nur halb, sondern wir integrieren das Familiengrundschulzentrum komplett.“ Diese Haltung ist das Allerwichtigste.

Was würden Sie sich für Ahlen wünschen mit Blick auf die Entwicklung der Familiengrundschulzentren?

Ich fange mal kleinschrittig an. Die jüngsten drei Familiengrundschulzentren sind letztes Jahr im April, Mai und Juni 2020 gestartet, also mitten in der Pandemie. Ich würde mir wünschen, dass wir erstmal an den Punkt kommen, wo wir sagen können, wir haben vier gut laufende Familiengrundschulzentren, die so arbeiten, wie sich das alle beteiligten Akteure vorstellen. Am 31.7.2024 läuft die Förderung aller vier Familiengrundschulzentren wieder aus und muss verlängert werden. Es wäre toll, wenn wir dann sagen könnten, dass wir vier gut laufende Familiengrundschulzentren haben. Diese Erfahrung dann mitzunehmen in unterschiedliche politische Gremien und eine Basis für eine Entscheidung zu haben, die vielleicht heißt, wir etablieren drei weitere Familiengrundschulzentren und vielleicht sind wir dann irgendwann bei zehn. Um das zu erreichen, müssen wir kleinschrittig denken, realistisch vorgehen. Ich glaube aber, dass wir auf einem guten Weg sind. Unser Pilotprojekt konnten wir ja auch letztes Jahr ausbauen und durch drei weitere Familiengrundschulzentren ergänzen.

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Maisa Klasen und Daniela Zentner, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Ahlen
Website: Ahlener Präventionskette