EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Eltern als Ressource für die Elternarbeit in sozial benachteiligten Quartieren

Das Einzugsgebiet der Grundschule an Dreslers Park in Kreuztal ist mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Viele Familien sind geprägt durch eine Fluchterfahrung, haben einen niedrigen Bildungsstatus und sind einkommensarm. Anke Conrads, Teil der erweiterten Schulleitung, und FGZ-Koordinatorin Margaret Dick erläutern im Interview ihre Herangehensweise und machen deutlich, wie wichtig es ist, Eltern nicht nur als Zielgruppe der Elternarbeit zu sehen, sondern auch als Ressource.

Die Grundschule am Dreslers Park entwickelt sich seit 2018 zum Familiengrundschulzentrum. Welche Herausforderungen bringen die Eltern und Kinder mit?

Margret Dick: Eine der größten Herausforderungen ist es zunächst, überhaupt alle Familien zu erreichen. Es gibt viele Sprachbarrieren. Gerade in den letzten Tagen sind mir auch Familien begegnet, die Analphabeten sind. Da helfen auch Flyer in verschiedenen Sprachen nicht weiter. Wichtig ist daher der direkte und persönliche Kontakt. Erst so erfährt man beispielsweise, dass bestimmte Eltern nicht lesen können.

Anke Conrads: Die direkte Ansprache der Eltern ist sehr wichtig. E-Mails oder ein Flyer reichen nicht aus, sondern Frau Dick steht vor der Schule und bietet den Eltern Kaffee an – mit ihrer mobilen Theke.

Es gibt viele Familien, die der Schule und den Lehrkräften anders bzw. distanzierter begegnen als Frau Dick, der Ansprechpartnerin des Familiengrundschulzentrums. Dadurch ist sie ein wichtiges Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus und auch für die Schulsozialarbeit. Barrieren und Ängste, die die Eltern mitbringen, können so mit der Zeit abgebaut werden. Eine Herausforderung ist für uns auch die große Fluktuation – der Zuzug und Wegzug von Familien. Viele Familien kommen nur für eine kurze Zeit nach Kreuztal, um dann irgendwo anders in Deutschland Fuß zu fassen. Andere Familien wiederum kehren in die Heimat zurück oder schicken ihre Kinder zurück, die dann bei den Großeltern wohnen. Manche kommen nach einer gewissen Zeit auch wieder. Das ist eines der Phänomene, die den Schulalltag prägen. Vielen Eltern fehlt auch das Verständnis, dass es hier eine Schulpflicht gibt und die Kinder wirklich jeden Tag zur Schule kommen müssen. Wir machen Videos oder Elternabende für die Eltern und erklären beispielsweise, was in die Schultasche gehört. Wir müssen jedes Detail kommunizieren.

Dick: Hier stellt sich auch wieder die Frage: Wie erreiche ich alle Eltern? Die Checkliste für die Schultasche haben wir letztendlich mit Bildern versehen. Die Eltern können dann mit ihren Kindern hier nebenan in den Supermarkt gehen und die Bildchen abhaken. Unterschiedliche Sprachen haben es sehr unübersichtlich gemacht. Mit den Bildern funktioniert es super.

Sie haben gerade angesprochen, dass Sie zum Beispiel Bild- oder Videoanleitungen gestalten. Wie gehen Sie ansonsten mit den Herausforderungen um?

Dick: Ich schaue, dass ich genug Gelegenheiten schaffe, um mit den Eltern in den Austausch zu kommen. Ich motiviere Eltern auch an Freizeitangeboten und -fahrten teilzunehmen. Die Erfahrung ist, wenn Eltern einmal bei der Fahrt dabei waren, bekommt der Kontakt zu mir eine andere Qualität. Und wenn die Tür ein Spalt offen ist, nehmen die Eltern auch an weiteren Angeboten teil, wie bspw. dem Elternfrühstück, dem Frauensport oder am Deutschkurs. Bewährt haben sich zum Beispiel Fahrten zu Freizeitparks oder in Zoos. Diese haben viele Familien tatsächlich noch nie besucht. Wir bieten dies Ausflüge sehr preiswert an, so dass sich solche Angebote alle Familien leisten können. Solche „Spaßfahrten“ schaffen ein anders Vertrauensverhältnis zu den Eltern und die Kinder sehen zum Beispiel zum ersten Mal in ihrem Leben einen Löwen.

Conrads: Eltern sind oft untereinander gut vernetzt und kennen sich. So wird die positive Erfahrung schneeballmäßig weitergereicht.

Dick: Genau. Je mehr Eltern ich kenne, desto mehr merke ich, dass ich in den Communities ankomme. Wenn eine Familie zum Beispiel gut in der afghanischen Community vernetzt ist, dann kommen auf einmal andere Eltern dieser Community auf mich zu. So kann ein Kontakt zu 20 Anmeldungen bei einem Angebot führen. Ich nutze belastbare Kontakte dann auch bewusst als Multiplikatoren. Wenn ich noch Eltern im Schulobst Programm zum Obst schneiden oder kochen suche, spreche ich gezielt Eltern an und bitte diese, in ihren Netzwerken nachzufragen.

Conrads: Das ist so wichtig. Ich hatte eine Familie bei mir in der Klasse, die sich nicht traute, zum Herbstfest zu kommen, weil sie die Sorge hatte, nichts zu verstehen. Das ist einfach schade und das können wir so nicht hinnehmen. Dieses Phänomen sehen wir leider sehr oft und müssen kreativ damit umgehen. Bei einem Elternabend hatte eine Mutter auf einen Zettel geschrieben: „Ich verstehe kein Deutsch.“ Ich wusste aber, dass sie Russisch spricht und habe sie daher neben eine russisch sprechende Mutter gesetzt. Wir müssen Eltern verstärkt als Ressource für die Schule sehen. Die beiden Mütter haben dann noch Telefonnummern ausgetauscht. Viel besser kann es nicht laufen.

Kreuztal ist eine kreisangehörige Stadt und ihr FGZ das einzige im Ort. Was bedeutet das für Kooperationen mit dem Sozialraum?

Dick: Der Kreissportbund finanziert beispielsweise unser Angebot „Frauensport“. Die Bürgerstiftung finanziert unser Angebot „Mama lernt Deutsch“. Der Lions-Club-Kreuztal finanziert die Schwimmkurse für Kinder. Ohne diese Kooperationen wären viele Angebote nicht möglich. Theoretisch sind unsere Angebote offen für alle Familien in Kreuztal. 90 Prozent der Teilnahmen laufen über die direkte Ansprache der Eltern bei uns an der Schule.

„Die Erfahrung ist, wenn Eltern einmal bei der Fahrt dabei waren, bekommt der Kontakt zu mir eine andere Qualität. Und wenn die Tür ein Spalt offen ist, nehmen die Eltern auch an weiteren Angeboten teil.”

Margret Dick

Sie kooperieren zudem mit einem Mehrgenerationenhaus. Wie sieht diese Kooperation aus und was erhoffen Sie sich davon?

Dick: Das Stadtteilbüro & Mehrgenerationenhaus ist in der Fritz-Erler-Siedlung platziert, also dem Wohnquartier, in dem die meisten Kinder unserer Schule wohnen. Wir können die Räumlichkeiten und die Strukturen der Einrichtung nutzen. Dort findet bspw. alle zwei Wochen Familien-Basteln statt und regelmäßig ein Spielenachmittag. Die Angebote machen mich im Stadtteil präsent, um auch andere Eltern zu erreichen, die ihr Kind nicht bei uns auf der Schule haben. Das funktioniert gut. Es gibt mittlerweile 20 bis 30 Familien, die entweder hier im Umkreis leben oder sogar in Siegen und gerne an meinen Angeboten teilnehmen.

Conrads: Letztens haben wir im Stadtteilbüro & Mehrgenerationenhaus auch eine Lehrerkonferenz durchgeführt, damit Kolleginnen und Kollegen die Einrichtung und deren Angebote kennen lernen.

Dick: Förderangebote der Einrichtung wie Lernhilfen und Sprachkurse sind ein wichtiges Thema, das du ansprichst. Wir schauen, was im Sozialraum und damit auch im Mehrgenerationenhaus angeboten wird. Die Abstimmung der Akteure ist wichtig, damit sich die Angebote nicht doppeln und die Kinder nicht an drei verschiedenen Lernhilfeangeboten teilnehmen.

Wenn Sie sich für Ihr Familiengrundschulzentrum etwas wünschen dürften, was wäre das?

Dick: Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann dass ich Vollzeit hier wäre, mit großartigen räumlichen Ressourcen und Ausstattungen. Es kostet viel Energie jedes Mal einen passenden Raum zu suchen. Ich habe ein Büro. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber wenn ich jetzt noch so einen Raum hätte, den ich nach Lust und Laune bespielen könnte, wäre das richtig cool.

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Marie Beyse, Sebastian Schardt und Daniela Zentner, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Kreuztal
Schule: Grundschule Dreslers Park