Gesundheitslotsendienst an Familiengrundschulzentren: Für ein gesünderes Heranwachsen in sozialen Brennpunkten
In Köln sind drei Gesundheitslotsinnen an den neun Standorten der Familiengrundschulzentren unterwegs. Ihr Ziel ist es, in sozioökonomisch benachteiligten Quartieren, sogenannten sozialen Brennpunkten, die Familien zu beraten und zu begleiten, ihnen den Zugang zum Gesundheitssystem zu vermitteln und für die Kinder präventive Angebote zu gestalten, um die Situation der Kinder gemeinsam mit den Familien nachhaltig zu verbessern. Wie das genau funktioniert, haben wir mit den beiden zuständigen Koordinatoren bei der Stadt Köln besprochen.
Die Stadt Köln hat 2019 eine Gesamtstrategie für die Ausgestaltung der Präventionskette vorgelegt. Darin sind die Familiengrundschulzentren als Maßnahmenempfehlung enthalten. Und auch der Aspekt der Gesundheitsprävention wird betont. Wie ist es gekommen, dass es in Köln von Anfang an diesen Fokus gab?
Stefan Handwerker: An der Erarbeitung dieser Gesamtstrategie waren direkt verschiedene Ämter beteiligt, u.a. das Gesundheitsamt. Dadurch konnte der Kinder- und Jugendärztliche Dienst die Gesundheitsprävention einbringen und mitdenken. Das war wichtig, da bei den Schuleingangsuntersuchungen in Köln vermehrt festgestellt wurde, dass viele Kinder einen hohen medizinischen Bedarf mitbringen, der nicht unbedingt abgedeckt wird. So ist die Idee eines ergänzenden Angebots an den Schulen entstanden. Vorbild dafür waren die Schulgesundheitsfachkräfte in Brandenburg.
Christian Cullmann: Zudem war uns der Ansatz aus Aachen, die „Gesunde Familiengrundschule“, bekannt und wir haben gesehen, wie die Themen Gesundheit und Bildung verknüpft werden können.
Wie kam es zu der Entscheidung, den Gesundheitslotsendienst zunächst an den neun FGZ anzudocken und nicht an den weiteren Grundschulen?
Handwerker: Die Standorte für die FGZ in Köln wurden nach Schulsozialindex ausgesucht, d.h. die Schulen mit der höchsten Belastung entwickeln sich zu FGZ. Dort sind auch im medizinischen Bereich die höchsten Bedarfe. Deshalb war es absolut naheliegend, dort mit den Gesundheitslotsen zu starten. Es wäre wünschenswert, diesen Dienst auch an anderen Schulen anbieten zu können, an denen es ebenfalls einen hohen Bedarf gibt. Durch die Förderrichtlinie „kinderstark – NRW schafft Chancen“ konnten wir an den neun FGZ starten. Hier testen wir nun das Konzept und sammeln Erfahrungen und Daten, um den Ansatz weiterzuentwickeln.
Wie zeichnet sich die ämterübergreifende Kooperation aus und wie funktioniert die Kooperation von FGZ und Gesundheitslotsendienst auf Ebene der Schulstandorte?
Cullmann: Wir haben verschiedene Gremien. Auf der ämterübergreifenden kommunalen Ebene haben wir unseren Lenkungskreis FGZ, in dem verschiedene Ämter vertreten sind: das Dezernat Bildung, Jugend und Sport, die Stabstelle des Dezernats Integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung, das Amt für Kinder-, Jugend und Familie, die Schulaufsicht, das Amt für Weiterbildung und auch das Gesundheitsamt. Dort wird die kommunale Entwicklung der FGZ vorangetrieben und es werden wegweisende Entscheidungen getroffen. Zudem haben wir auf der Koordinationsebene einen wöchentlichen Jour fixe, in dem wir uns über unsere Fachkräfte und unsere Stände informieren und an gemeinsamen Projekten arbeiten. Alle zwei Wochen findet ein Treffen der FGZ-Leitungen statt, an dem bei der Arbeit an gemeinsamen Themen die Gesundheitslotsinnen und Gesundheitslotsen dazukommen.
Handwerker: Zusätzlich zu den von Herrn Cullmann genannten Gremien haben wir eine wöchentlich stattfindende Teamsitzung des Gesundheitslotsendienstes. Wir tauschen uns dann u.a. über die Fälle aus. Wir arbeiten zudem auf allen Ebenen sehr eng mit dem Amt für Schulentwicklung zusammen. Das geht auch runter bis auf die Schulebene, je nachdem wie der Schulstandort organisiert ist und welche Gremien es gibt. In den Schulen treffen sich auch die Gesundheitslotsinnen und -lotsen und die FGZ-Koordinatorinnen und -koordinatoren regelmäßig, um beispielsweise gemeinsame Angebote zu entwickeln. Dadurch sind wir auf allen Ebenen vernetzt.
An den neun Familiengrundschulzentren ist jeweils eine Koordinatorin (oder FGZ-Leitung) angestellt. Wie ist das mit den Gesundheitslotsinnen und Gesundheitslotsen?
Handwerker: Im Gesundheitslotsendienst ist eine 0,25-Stelle pro Schule vorgesehen. Wir haben drei Gesundheitslotsinnen, die in Teil- oder Vollzeit arbeiten und somit zwei bis vier Schulen betreuen. Das ist eine Herausforderung. Darauf können wir auch später nochmal zurückkommen.
Könnten Sie an einem Beispiel deutlich machen, wie die Kooperation zwischen Familiengrundschulzentrum und Gesundheitslotsendienst an einem Schulstandort funktioniert?
Handwerker: Die Kooperation zwischen dem Familiengrundschulzentrum und dem Gesundheitslotsendienst liegt vor allem in der Angebotsgestaltung. Sie entwickeln gemeinsam präventive Angebote, die unter dem Dach des Familiengrundschulzentrums laufen. Die Einzelfallarbeit wird in Kooperation mit Schulsozialarbeit oder Lehrkräften geleistet. Derzeit haben wir noch wenige direkte Kontaktaufnahmen von Seiten der Eltern. Dazu ist das Angebot noch nicht etabliert genug. Wir sind erst seit etwas mehr als einem Jahr an allen neun Schulen vertreten. Die meisten Kontaktaufnahmen zum Gesundheitslotsendienst laufen über Fachkräfte an den Schulen, denen Auffälligkeiten bei den Kindern begegnen. Sie vermitteln dann an die Gesundheitslotsinnen. Die Bedarfe sind sehr vielfältig. Es dreht sich viel um folgenden Dreiklang: Ernährung, Bewegungsmangel, Medienkonsum. Wenn Lehrkräfte bei einem Kind ein gesundheitliches Problem sehen, wenden sie sich an die Lotsin. Diese nimmt dann Kontakt mit dem Kind und den Eltern auf. Es werden dann gemeinsam Lösungswege erarbeitet. Unsere Lotsinnen sind auch Ansprechpartnerinnen, wenn Kinder Bauch- oder Kopfschmerzen haben. Die Kinder werden versorgt und gegebenenfalls werden weitere Schritte in die Wege geleitet. Das können kurze Termine sein oder lange Fallverläufe, die sich über Wochen oder auch Monate erstrecken. Das hängt davon ab, wie komplex ein Fall ist, wie kooperativ die Familie und/oder wie schnell es gelingt, Kinder ins medizinische System zu vermitteln. Unser Ziel ist immer, Kinder bzw. deren Familien zu beraten und die Kinder in die Behandlung zu vermitteln, die sie benötigen. Darüber hinaus wollen wir erreichen, Eltern so zu unterstützen, dass sie sich im medizinischen System zurechtfinden. Hier haben wir den Vorteil, dass die Lotsinnen die Sprache der Fachkräfte im medizinischen System sprechen und Bedarfe nochmal anders vermitteln können als die Eltern selbst.
Cullmann: Ein anderes Angebot ist die Beratung der Fachkräfte an den Schulen zu Gesundheitsthemen, z.B. bei Kindern mit chronischen Erkrankungen. Darauf sind Schulen oft nicht vorbereitet. Wie versorgt man Kinder, die beispielsweise an Diabetes erkrankt sind? Das können im Raum Schule nicht die Eltern übernehmen. Oft besteht auch Unsicherheit bei den Lehrkräften bezüglich der Erkrankung und des Umgangs damit. Hier beraten dann die Gesundheitslotsinnen und bieten gegebenenfalls auch kleine Schulungen innerhalb der Schule an.
"Die Bedarfe sind sehr vielfältig. Es dreht sich viel um folgenden Dreiklang: Ernährung, Bewegungsmangel, Medienkonsum."
Wie werden an den Schulen Angebote entwickelt und wie Bedarfe ermittelt?
Handwerker: Wir entwickeln Angebote mit den FGZ-Koordinatoren und -Koordinatorinnen oder mit anderen Fachkräften in der Schule oder tun das selbst. Unsere Angebote orientieren sich immer am Bedarf der Schule. Wir versuchen immer, am Elterncafé des FGZ teilzunehmen. Das ist terminlich nicht einfach, da die Gesundheitslotsinnen nur einen Tag pro Woche in der Schule sind. Das Café ist eine gute Möglichkeit, auf niederschwellige und basale Art Gesundheitsthemen zu vermitteln. An der Grundschule Lustheider Straße bringen wir beispielsweise Gesundheitsthemen auch als Challenges ein und kooperieren dabei mit dem FGZ und der Schulsozialarbeit. Wir bereiten diese Inhalte kindgerecht auf. Die Kinder bekommen dann kleine Aufgaben, Rätsel zu Themen wie Achtsamkeit, Ernährung oder Bewegung zu lösen. Beim Thema Ernährung sollten die Kinder beispielsweise zuhause Bilder von Nahrungsmitteln ausschneiden, die gesund oder ungesund sind. An der GGS Merianstraße haben wir Anfang Februar eine Gesundheits-Rallye durchgeführt. Das war eine Aktion über den ganzen Vormittag, bei der die Kinder verschiedene Spiel-Stationen zu Gesundheitsthemen absolvierten und in den Klassen ein gesundes Frühstück angeboten wurde.
Cullmann: An der Angebotsplanung sind auch die schulinternen FGZ-Entwicklungsgruppen beteiligt. Bestenfalls sind in den Entwicklungsgruppen alle Professionen (FGZ-Leitung, Schulleitung, OGS-Leitung/Mitarbeitende, Vertretung des Kollegiums, Schulsozialarbeit, Eltern, Hausmeister oder Hausmeisterin etc.), die an der Schule oder an dem Standort tätig sind, vertreten. Dort werden dann auch Angebote geplant, besprochen und entwickelt.
Sie haben es zwischendurch schon angedeutet, aber was sind aktuell die größten Hürden und Herausforderungen?
Cullmann: Ein zentraler Punkt ist natürlich die Verstetigung sowohl der Mittel für FGZ als auch des Gesundheitslotsendienstes. Die Mittel müssen aktuell jährlich neu beantragt werden. Das gibt uns keine Planungssicherheit. Darüber hinaus wäre eine fachliche Begleitung der Kooperation der beiden Dienste sinnvoll. Es gibt noch keine vergleichbaren Kooperationen in anderen Städten und daher sind wir ziemlich alleine unterwegs. Eine fachliche Begleitung würde uns sehr helfen. Ein Thema, das für fast alle Schulen eine große Herausforderung ist, ist die Raumverfügbarkeit. Die Gesundheitslotsinnen brauchen für ihre Arbeit einen Raum, der idealerweise zentral und niederschwellig zu erreichen sein sollte. Das ist schwierig.
Handwerker: Das stimmt. In zwei Schulen sitzen wir im Keller. Das ist nicht optimal, aber wir nehmen natürlich das, was uns an Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt wird. Die größte Herausforderung ist aus meiner Sicht der sehr hohe Hilfebedarf in den Stadtteilen. Dort brauchen wir professionelle Fachkräfte, die man ständig weiterbildet und die man binden möchte. 0,25 Stunden pro Schule sind dort einfach zu wenig Zeit. Es wird der Situation an den Schulen und den Fällen nicht immer gerecht. Weiter ist es den Lotsinnen und Lotsen dadurch nicht möglich, an allen relevanten Schul-Gremien teilzunehmen und die Vernetzung im Sozialraum adäquat auszubauen. Aus unserer Sicht wäre eine 0,5-Stelle pro Schule angemessen. Eine Verstetigung unserer Arbeit wäre für die Verbesserung der Kinder- und Jugendgesundheit dringend notwendig.
Noch eine Nachfrage dazu: Stoßen Sie bei den Eltern teilweise auch auf Vorbehalte?
Handwerker: Das ist unterschiedlich. Wir haben einen deutlichen Vorteil gegenüber Lehrkräften und anderem Personal an Schulen. Wir werden in der Regel als neutral wahrgenommen, da wir nicht direkt von der Schule sind und auch keine Noten vergeben. Natürlich gibt es auch Eltern, die grundsätzlich Vorbehalte gegenüber Ämtern haben und misstrauisch gegenüber Kontaktaufnahmen durch die Schulen sind. Hier müssen wir zunächst Beziehungen und Vertrauen aufbauen. Dabei hilft uns auch, wenn die Kinder ihren Eltern berichten „Da gibt es jemanden, der kümmert sich um das Thema Gesundheit“, und dadurch die Zugänge einfacher werden.
WEITERE INFORMATIONEN
Interview: Gregor Entzeroth und Marisa Klasen, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Köln
Website: Gesundheitslotsendienst an den Kölner Familiengrundschulzentren