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Kreuztal: Über die Herausforderungen und kreativen Zugänge einer kreisangehörigen Kommune beim Aufbau eines Familiengrundschulzentrums

Die Stadt Kreuztal ist eine kreisangehörige Kommune im Kreis Siegen-Wittgenstein ohne eigenes Jugendamt. Das Konzept „Familiengrundschulzentren“ ist hier bereits 2010 als Idee aufgetaucht und konnte 2018 im Rahmen des Stadterneuerung „Starke Quartiere – Starke Menschen“ in einer Grundschule umgesetzt werden. Stadtrat Patrick Zöller und Amtsleiter Uwe Montanus berichten im Interview über den ersten Förderzugang, den Europäischen Sozialfonds.

Wo befinden sich das für die Kommune zuständige Jugendamt und das Schulverwaltungsamt?

Patrick Zöller: Das Jugendamt ist beim Kreis Siegen-Wittgenstein angesiedelt. Im Kontext des Familiengrundschulzentrums (FGZ) spielt das Jugendamt für uns eigentlich keine Rolle; dies vor dem Hintergrund, dass ohne eigenes Jugendamt eine Kinderstark-Förderung, also eine Förderung durch das Familienministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) ausscheidet.

Welche Herausforderungen gehen damit einher?

Zöller: Damit ist aktuell nur eine Förderung durch das NRW-Schulministerium denkbar, wo wir aber Stand heute, bedingt durch die zur Zeit gültige Richtlinie keine Berücksichtigung finden.

Welche Herausforderungen hatten Sie dadurch bei dem Aufbau des Familiengrundschulzentrums zu bewältigen?

Zöller: Die Implementierung des FGZ wurde im Rahmen des Programms „Starke Quartiere – starke Menschen“ vorgenommen. Dabei handelte es sich um ein Programm, bei dem die Landesregierung von 2018 – 2020 EU-Bundes- sowie Landesmittel zusammengeführt hat. Der Europäische Sozialfonds (ESF) war in diesem Fall dann unser Förderzugang für das FGZ. Eine weitere Herausforderung im Kreis Siegen-Wittgenstein ist der Mangel an Trägern der Familienbildung. Wir konnten damals zum Aufbau des FGZ die Katholische Erwachsenen- und Familienbildung in Olpe gewinnen, da diese mit uns seit vielen Jahren als Kooperationspartnerin im Rahmen des Bündnisses für Familie zusammengearbeitet hat.

Würden Sie noch mal ESF-Mittel beantragen? Es heißt, dass dies sehr ressourcenbindend sei.

Uwe Montanus: Die Förderung über den ESF war gut. In das Programm sind wir zu einem Zeitpunkt eingestiegen, als das Antragsverfahren und Abwicklung bereits stark vereinfacht waren. Durch die pauschalierte Förderung der Personalkosten konnte der Verwaltungsaufwand gering gehalten werden. Die ESF-Förderung hat es uns ermöglicht, eine volle Stelle einrichten zu können. Damit waren wir in NRW glaube ich die einzigen. Die Zeiten sind nun leider vorbei. Das tut jetzt weh.

Wie arbeiten Sie in einer kreisangehörigen Kommune über die Distanz mit den anderen Akteuren wie Schul- oder Jugendamt? Gibt es Herausforderungen?

Zöller: Nein. Die räumliche Entfernung ist kein Problem. Aus fachlicher Sicht funktioniert die Zusammenarbeit gut. Wir arbeiten bereits in verschiedenen Bereichen mit den Kolleginnen und Kollegen gut zusammen. Die interkommunale Zusammenarbeit ist auch im Kreis gut ausgestaltet und ausgeprägt.

In Kreuztal gibt es ein Familiengrundschulzentrum. Warum ist die Wahl auf die Grundschule an Dreslers Park gefallen?

Zöller: Im Rahmen des Programms „Starke Quartiere – Starke Menschen“ war die Kreuztaler Stadtmitte das ausgewiesene Fördergebiet; hier ist die Grundschule angesiedelt. Damit war die Schule gesetzt. Zum Einzugsgebiet der Grundschule gehört u.a. der Geschosswohnungsbau in der Fritz-Erler-Siedlung, wodurch die Grundschule größere Herausforderungen zu bewältigen hat. Die Schule ist aktuell im schulscharfen Sozialindex der Stufe 6 zugeordnet.

Montanus: Das Fördergebiet „Stadtmitte“ wurde ab 2005 im Stadterneuerungsprogramm Stadtumbau West und anschließend über das Programm „Starke Quartiere – Starke Menschen“ gefördert. Im letzteren Förderprogramm hatte die Landesregierung den Zugang zu ESF-Mitteln ermöglicht. Neben der Implementierung eines FGZ haben wir auch ein Sozialtraining an die Schule geholt, das seit 2018 jeden Freitag fest in das schulische Curriculum eingebunden ist. Auch nach dem Auslaufen der ESF-Förderung Ende 2020 führen wir beide Bausteine an der Grundschule weitgehend aus eigenen Mitteln weiter.

„Die Fritz-Erler-Siedlung ist ein klassischer Ankommens Stadtteil, in den Menschen aus verschiedenen Ländern in ersten Schritt ein Zuhause finden (...). Die damit einhergehenden Herausforderungen müssen von der Schule bewältigt werden.“

Patrick Zöller

Können Sie nochmal die Herausforderungen skizzieren, die hier im Stadtteil und in der Schule zusammenkommen?​

Montanus: 2005 haben wir die erste Kreuztaler Familienberichterstattung mit dem Zentrum für Interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) in Kreuztal aufgelegt und dies 10 Jahre später wiederholt. Die Familienberichte haben uns eine Vielzahl von Informationen zur Lebenswirklichkeit von Kreuztaler Familien gegeben und diese kleinräumig auf Stadtteilebene abgebildet. Für die Stadtmitte haben diese Daten gezeigt, dass im Einzugsgebiet der Grundschule rd. 60 Prozent der Familien von Armut betroffen sind. Rd. 50 unterschiedlichen Nationen in der Fritz-Erler-Siedlung prägen die Stadtmitte und mit der hohen Anzahl von Kindern im Wohnquartier liegt dieser Stadtteil deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtstadt.

Die Fritz-Erler-Siedlung ist ein klassischer Ankommens Stadtteil, in den Menschen aus verschiedenen Ländern in ersten Schritt ein Zuhause finden, u.a. im Rahmen der Arbeitsnehmerfreizügigkeit 2014/2015. Die damit einhergehenden Herausforderungen müssen von der Schule bewältigt werden.

In welche Gesamtstrategie ist das FGZ in Kreuztal eingebettet?

Montanus: Die Kommune hat schon vor Jahren einen familienpolitischen Schwerpunkt gesetzt. Wie schon gesagt, haben wir 2005 den ersten Kreuztaler Familienbericht veröffentlicht und zwei Jahre später mit zahlreichen lokalen Akteuren das Kreuztaler Bündnis für Familie gegründet. 2010 wurde die Stadt Kreuztal schließlich als familiengerechte Kommune auditiert. Dadurch konnten zahlreiche Handlungsansätze entwickelt werden, die jetzt auch in das FGZ eingebunden sind.

Als Kommune ohne eigenes Jugendamt wurden familienpolitische Schwerpunktsetzungen auch über den Zugang der „Stadtentwicklung“ vorgenommen. So konnten zahlreiche investive Projekte und sozialpolitische Maßnahmen umgesetzt werden, die einen deutlichen jugend- und familienpolitischen Akzent gesetzt haben.

Was wünschen Sie sich?

Zöller: Wir wünschen uns, dass wir als Stadt Kreuztal in eine potenzielle Förderung der Landesministerien aufgenommen werden, um nicht nur die personelle Ausstattung des FGZ zu erhalten, sondern sogar noch auszubauen. Hierzu gehört dann auch die Implementierung eines FGZ an einer weiteren städtischen Grundschule.

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Marie Beyse, Sebastian Schardt und Daniela Zentner, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Kreuztal
Schule: Grundschule Dreslers Park