EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Miteinander, nebeneinander, füreinander

Schulsozialarbeit und Familiengrundschulzentrum: Wie funktioniert das zusammen? Wir haben in der Regenbogenschule in Duisburg-Marxloh nachgefragt. Dort arbeitet Gillian Grams als Leitung des Familiengrundschulzentrums und Pinar Oğuzcan als Schulsozialarbeiterin der Schule.

Die Schulsozialarbeit gibt es schon seit vielen Jahren an der Regenbogenschule. 2021 hat sich die Regenbogenschule nun zum Familiengrundschulzentrum entwickelt. Wie haben Sie diese Entwicklung erlebt?

Gillian Grams: Gestartet bin ich am Familiengrundschulzentrum (FGZ) in Trägerschaft der AWO-Duisburg im März des letzten Jahres. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass ich an einer Grundschule als Institution tätig bin, dafür aber das erste Mal als Leitung für ein FGZ. Das ist eine große Aufgabe und da eine solche Stelle vorher nicht vorhanden war, bin ich fast ohne Vorbehalte gestartet. Es gab auch keine Vorgängerin oder einen Vorgänger, der mir irgendetwas hätte mitgeben können. So hat sich alles nach und nach aufgebaut. Es war super und vor allem hilfreich mit Pinar Oğuzcan eine enge Ansprechpartnerin zu haben, die einen hier an der Schule an die Hand nimmt und bereits einen sehr engen Kontakt zu den Eltern pflegt, was auch das Ziel des FGZ ist. Wenn man als neue Person an der Schule startet, gerade hier im Stadtteil, ist man erst einmal fremd. Die Zusammenarbeit zwischen Schulsozialarbeit und FGZ aufzubauen, war für mich somit ein wichtiger Baustein.

Pinar Oğuzcan: Ich hatte den Vorteil, dass ich vor dieser Stelle bereits zwölf Jahre im Quartier Marxloh tätig war und dann in die Schulsozialarbeit der AWO-Integration Duisburg an der GGS Regenbogenschule gewechselt bin. Die Netzwerke und auch der Sozialraum waren mir bekannt. An der Schule habe ich erstmal eine neue Aufgabe übernommen mit dem Ziel der Schaffung von Chancengleichheit, dem Entgegenwirken von Bildungsbenachteiligung sowie Ausgrenzungs- und Gewaltprävention. Jeder im Kollegium hat seinen spezialisierten Bereich im Rahmen eines multiprofessionellen Teams und verfolgt ein eigenes Ziel – in so einem großen Team ist eine reibungslose gemeinschaftliche Kooperation nicht immer vollumfänglich möglich. Wir arbeiten jedoch alle daraufhin, diese zu intensivieren. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle wie zum Beispiel Zeit und Aufgabenbereiche. Deswegen war ich sehr dankbar als Gillian gestartet ist. Vom ersten Moment an waren wir auf Augenhöhe. Ich bin sehr froh, diesen Austausch direkt vor Ort zu haben. Ich sehe die Schulsozialarbeit und die FGZ-Leitung miteinander, nebeneinander, füreinander und nicht separat. Sicherlich gibt es Stolpersteine, aber hier konkret an der Schule ergänzen wir uns. Wir nehmen uns gegenseitig Arbeit ab oder tauschen uns zu Problemen aus. Da kennt Gillian vielleicht einen neuen Ansatz, bringt einen anderen Blick mit ein oder ich kann mit meinen Netzwerken helfen. Wir sind beide Teil der Netzwerke, doch jeder hat seinen spezialisierten Part und seine eigene Profession. Auch in der operativen Arbeit ist die Abgrenzung klar. Gillian ist eher konzeptionell und in Angebotsplanung und -durchführung tätig und ich vor allem operativ. Ich mache die soziale Arbeit an der Basis. Durch den Austausch mit den anderen FGZ und den Schulsozialarbeiterinnen hier im Stadtteil, unabhängig der Trägerschaft, besteht eine gute Atmosphäre in Marxloh. Es ist nicht alles glattgebügelt, sicherlich tauchen auch Probleme auf. Wir sprechen darüber und im besten Fall können sie mit Expertise aller gelöst werden.

„Diese Art der Zusammenarbeit hat sich einfach gefunden. Wir haben uns an unseren Stärken orientiert.“

An welchen Stellen arbeiten Schulsozialarbeit und Familiengrundschulzentrum zusammen und wie?

Gillian Grams: Pinar ist in der operativen Arbeit viel näher an den Eltern als ich. Ich arbeite viel konzeptionell, wenn wir z.B. Angebote planen, wie das Feriencamp, das wir in den Sommerferien angeboten haben. Ich habe die Konzepte dafür geschrieben, die Anträge gestellt und bei der Durchführung war Pinar dabei. Diese Art der Zusammenarbeit hat sich einfach gefunden. Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir das bewusst entschieden haben – wir haben uns an unseren Stärken orientiert. Ich komme aus einem bildungswissenschaftlichen Bereich und Pinar kann, erfahren als langjährige Berufspraktikerin, gut mit Eltern umgehen. Soziale Arbeit ist ihr Part. Das sind die Bereiche wo wir uns voneinander abgrenzen. Aber gleichzeitig arbeiten wir auch zusammen.

Pinar Oğuzcan: Elterngespräche machen wir zum Teil gemeinsam. Auch bei Hausbesuchen war Gillian dabei, um einen Einblick zu bekommen. Ich finde es wichtig, zu teilen, wie es in Marxloh aussieht und wie der Sozialraum funktioniert. Es ist bedeutsam, dass auch Gillian diese Einblicke als FGZ-Leitung gewinnt.

Wie nehmen Sie die Bedarfe der Eltern auf und welche Funktionen oder Rollen übernehmen Sie dabei?

Gillian Grams: Es ist zentral, dass ich die Bedarfe von den Eltern von Pinar zurückgespielt bekomme und dann an das FGZ als Knotenpunkt Angebote aus dem Stadtteil in der Schule implementieren kann. Wenn wir mit Akteuren aus dem Stadtteil kooperieren weiß ich, was die aktuellen Bedarfe bei den Eltern sind und welche Unterstützungsangebote zusätzlich benötigt werden. Darüber hinaus gewinne ich aus ersten eigenen Projekten des FGZ Einsichten in die Bedarfe der Eltern. In diesem Prozess sind besonders die Elternlotsinnen aus dem Projekt “Eltern für Eltern” unter dem Dach des FGZ hilfreich.

Pinar Oğuzcan: Auch wenn wir Angebote installieren, zeigen sich unsere Synergien. Wir kooperieren beispielsweise mit Sportvereinen an der Schule im Rahmen des Aufholpakets nach Corona. Zusätzlich werden für sechs- bis zwölfjährige Kinder Workshops über Ernährung angeboten in denen praktisch mit den Kindern gearbeitet wird. Jetzt findet dieses Angebot coronakonform in den einzelnen Klassen als Bewegungsangebot für die Kinder statt. Die Kinder sind begeistert. Das haben uns auch die Lehrkräfte zurück gespiegelt. Auch sie brauchen solche Angebote. Wir versuchen, so viel wie möglich in die Schule zu holen, aber das scheitert leider oft an der Platz- und Raumkapazität und aktuell auch an der Corona-Lage. Diesbezüglich werden sicherlich auch in der Zukunft große Hindernisse und Aufholbedarfe – psychisch oder sprachlich und schulisch – auf uns zukommen.

Gillian Grams: Die Platz- und Raumkapazität ist nicht gut. Nach den Sommerferien sollte in einer mobilen Klasseneinheit auf dem Schulhof ein Büro für die FGZ-Leitung und die Angebote des FGZ fertig gestellt sein. Wir warten weiterhin auf die Fertigstellung. Dies ist jedoch in keinem Fall die Schuld der Schule – ganz im Gegenteil wurde das FGZ immer tatkräftig von der Schule im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei Problemlösungen unterstützt. Besonders das Interesse der Schule, dass die Angebote des FGZ gut anlaufen können, wurde dabei deutlich. Der gute Austausch und das gute Verhältnis von FGZ und Schule sowie Schulleitung sind in allen Situationen ein großer Rückhalt für das FGZ – besonders, wenn es in solch kniffligen Situationen, wie der Raumsuche, Lösungen zu finden gilt. Durch die komplizierte Lage des eingeschränkten Raumangebotes, kann das Begegnungscafé für Eltern, deshalb noch nicht starten. Ein größeres Raumangebot wäre also sehr wertvoll für die Eltern. Alternativ haben wir erste Elternbegegnungen im Foyer realisiert.

Die Regenbogenschule in Duisburg-Marxloh.

An Ihrer Schule gibt es die Lehrerschaft, die Schulsozialarbeit, das Familiengrundschulzentrum, den Offenen Ganztag, es gibt die Interkulturellen Beraterinnen und Berater, die Sonderpädagoginnen und -pädagogen und Alltagshelferinnen und -helfer. Wie organisieren Sie sich?

Pinar Oğuzcan: Wir sind in den Schulkonferenzen dabei und können wichtige Themen benennen. Diese Plattform könnte produktiver genutzt werden. Besonders der Faktor Zeit hat hierauf einen großen Einfluss – diese fehlt, um sich in nötigem Umfang mit den einzelnen Thematiken in ihrer Tiefe auszutauschen. Die Konferenzen finden alle zwei Wochen statt und da brennt es momentan durch Corona auch an anderen Thematiken. Durch den Aufbau von multiprofessionellen Teams sind wir gut im Ausbau und halten oft durch IServ Kontakt. Sobald wir neue Informationen haben, stellen wir sie dort ein. Wir hängen unser Angebot auch aus und stellen es in die WhatsApp-Gruppe und teilen die Informationen digital miteinander. Dann wissen alle Lehrerinnen und Lehrer Bescheid und können die Kinder und Eltern darauf hinweisen.

Gillian Grams: Kommunikation zwischen den Strukturen ist ein großes Thema. Es erfordert viel Durchhaltevermögen, Kraft und Konsequenz. Ich habe als FGZ-Leitung damit angefangen eine Lehrkräftesprechstunde einzurichten, die immer donnerstags in der großen Pause stattfindet. Dann bin ich im Lehrerzimmer und alle Lehrkräfte, die Bedarf und Fragen haben, können zu mir kommen. Sie fragen, ob das FGZ an bestimmten Stellen unterstützen, wo man in bestimmten Fällen Hilfe erhalten kann, oder fragen nach Ideen. Das hatte einen großen Vorteil von Anfang an. Wir haben uns vernetzt, und ich war präsent. Momentan ist allerdings die Eigendynamik durch Corona in der Schule eher von Stress und Anspannung geprägt. Jeder möchte seine eigenen wichtigen Angelegenheiten – neben der Corona-Thematik – gut organisiert bekommen. Es ist eine Herausforderung zu schauen, dass man nicht nur nebeneinander arbeitet, sondern auch zusammen. Das funktioniert mal mehr und mal weniger gut – das haben wir aber im Blick.

Pinar Oğuzcan: Neben den Konferenzen, die alle zwei Wochen stattfinden, haben wir auch einen systematischen Austausch mit Schulleitung, Schulsozialarbeit, FGZ und Träger. Diesen Austausch haben wir regelmäßig und er ist sehr wertvoll. Von Seiten der AWO-Duisburg e.V. Familienbildung begleitet die projekterfahrene Fachbereichsleitung Lisa Müller-Arnold kontinuierlich im Team mit Gillian Grams diese Austausche und FGZ-Entwicklungen.

„Schulgemeinde erweitert sich gelebt über das FGZ um die Eltern, die zunehmend aktiv an Angeboten teilnehmen können.“

Elternarbeit gibt es schon seit Jahren an den Schulen in Marxloh. Welchen Unterschied macht hier das Familiengrundschulzentrum?

Gillian Grams: Einen Mehrwert sehe ich in dem Mehrzweckknotenpunkt. Als ich hier in die Schule gekommen bin, gab es viele Angebote, aber unstrukturiert. Die Aufgabe, die ich übernommen habe, war zu sortieren: Welche Angebote gibt es bereits an der Schule? Welche Angebote gibt es im Quartier? Was ist sinnvoll? Wie kann man das vernetzen? Wie kann man Dopplungen vermeiden? Das ist der große Vorteil eines FGZ. Das FGZ hat einen Namen, den man den Eltern mitteilen kann. So kann auch nachhaltiger darüber mit Familien und Akteuren kommuniziert werden. Das ist auch ein Vorteil mit Blick auf die Zusammenarbeit mit allen Akteuren und Akteurinnen in der Schule, in der Stadtverwaltung, bei den Trägern und im Sozialraum. Es ist eine große Herausforderung, aber wenn es ordentlich durchgeführt wird, kann es eine große Hilfe für Eltern sein – gerade im sozialen Raum. Wir können vermitteln, die Hilfen weiterführen. Das Netzwerk bricht sonst nach der Kita ab und die Eltern stehen plötzlich vor den Türen der Grundschulen. Es ist eine große Chance, ein FGZ an einer Schule zu implementieren, die Hilfsangebote aus dem Quartier zu integrieren und sich an den Bedarfen der Eltern zu orientieren. Schulgemeinde erweitert sich gelebt über das FGZ um die Eltern, die zunehmend aktiv an Angeboten teilnehmen können.

Pinar Oğuzcan: Da knüpfen wir mit der Schulsozialarbeit auch an. Das ist ebenfalls der Grund, warum wir gemeinsam zu- und mitarbeiten. Wenn Bedarfe festgestellt werden, werden sie ans FGZ weitergegeben. Wenn Akutfälle auftreten, sind wir beide in der Lage, uns diesen anzunehmen. Wir haben die Eltern hier, wir können Vertrauen aufbauen, ihnen eine Basis geben und zeigen: Hier gehen eure Kinder jeden Tag hin. Hier seid ihr, wie in eurem Zuhause, willkommen: Die Türen stehen offen.

Gillian Grams: Wir haben noch viele weitere gute Angebotsideen, die wir nun nach und nach – hoffentlich mit weniger Corona-Rahmungen – an den Start bringen wollen. Zum Beispiel ein Eltern-Kinder-Gartenprojekt und ein niedrigschwelliger Eltern-Sprachtreff.

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Gregor Entzeroth und Marisa Klasen, Wübben Stiftung Bildung
Fotos: Wübben Stiftung Bildung/Marisa Klasen
Kommune: Stadt Duisburg
Schule: Regenbogenschule Duisburg