EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Wenn ein Familien­grund­schul­zentrum den Standort wechselt

Wenn eine Kommune den Standort für ein Familiengrundschulzentrum auswählt, spielen viele Kriterien eine Rolle. Die Situation im Stadtteil, die Lebenslagen der Familien, die Menschen vor Ort an der Schule. Trotz vieler Überlegungen und Abwägungen kann es passieren, dass sich nach Start eines Familiengrundschulzentrums zeigt, dass das Konzept aus unterschiedlichen Gründen vor Ort nicht funktioniert. In Bielefeld war das der Fall. Im Interview beschreiben nacheinander die Kommunale Koordination, Yvonne Becker-Schwier, und die Leitung des Familiengrundschulzentrums, Isabel Schaefer, die Situation.

Frau Becker-Schwier, in Bielefeld ist ein Familiengrundschulzentrum zu einem anderen Schulstandort gewechselt. Was sind Faktoren, die zu einem Standortwechsel führen können?

Yvonne Becker-Schwier: Wir haben gemerkt, dass die Idee, was ein Familiengrundschulzentrum ist, mit den Akteuren an der Schule gut abgesprochen werden muss. An den Schulen gibt es viele unterschiedliche Akteure: Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, den Offenen Ganztag und Fachkräfte für die Hilfe zur Erziehung im Offenen Ganztag. Außerdem gibt es die Fachkräfte in der Schuleingangsphase und noch viele mehr, die für das Gelingen des Familiengrundschulzentrums wichtig sind. Mit dem Familiengrundschulzentrum kommt noch eine weitere Person, ein weiterer Auftrag hinzu. Dabei ist für die Schule die Öffnung in den Stadtteil neu und besonders. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Akzeptanz, dass bei einem kooperierenden Miteinander ein Mehrwert entsteht, gut mit allen Akteuren besprochen werden muss und alle Beteiligten bereit sein müssen, daran mitzuwirken und diese Idee mitzutragen. Damals haben wir schnell gemerkt, dass die Umsetzung an diesem Standort aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht gelingt. In Kooperation mit dem Schulamt und dem Bildungsbüro haben wir uns gemeinsam dazu entschieden, den Standort zu wechseln.

Sind für einen solchen Wechsel innerhalb einer Kommune bestimmte Instanzen notwendig? Wer trifft die Entscheidung letztendlich und wer muss bei dieser Entscheidung dabei sein?

Yvonne Becker-Schwier: Wir haben den Wechsel von Politik entscheiden lassen, da wir zu Beginn auch einen politischen Beschluss eingeholt hatten, der uns überhaupt ermöglicht hat, Fördergelder zu beantragen, Eigenmittel einzusetzen und Familiengrundschulzentren aufzubauen. Damals wurden auch die Standorte beschlossen. Dementsprechend mussten wir die Entscheidung des Wechsels ebenfalls in politische Diskussion geben, das waren die entsprechenden Bezirksvertretungen, der Schul- und Sportaussschuss und der Jugendhilfeausschuss. Außerdem war es notwendig, dass der Antrag durch die Schulkonferenzen der alten und neuen Schule geht, denn auch hier mussten alle Beteiligten zustimmen.

„Elternarbeit im Stadtteil ist eine der tragenden Säulen von Familiengrundschulzentren.“

Liebe Frau Schaefer, welche Stolpersteine haben Sie bei dem Start eines Familiengrundschulzentrums erlebt?

Isabel Schaefer: Zu Beginn habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die Schule unter einem Familiengrundschulzentrum etwas anderes vorgestellt hat. Besonders die Arbeit mit Eltern hat sich aus unterschiedlichen Gründen nicht umsetzen lassen. Das war aber der Grund, warum ich dort war: Elternarbeit im Stadtteil ist eine der tragenden Säulen von Familiengrundschulzentren. Es hat sehr lange gedauert, um die Säulen des Familiengrundschulzentrums an der Schule aufbauen zu können. Man kann sagen, dass unterschiedliche Erwartungen beteiligter Akteure an das Familiengrundschulzentrum zu einem erschwerten Start geführt haben. Es sollte auf jeder Seite von Beginn an deutlich sein, was ein Familiengrundschulzentrum ausmacht und wer welche Aufgaben erfüllt.

Beispielsweise war die Situation der Räumlichkeiten vor Ort nicht ideal. Vorhandene und freistehende Räumlichkeiten konnten aus schulinternen Gründen nicht zur Nutzung für das Familiengrundschulzentrum freigegeben werden. Ein Familiengrundschulzentrum braucht jedoch einen Raum, denn es muss die Möglichkeit geben, vertrauliche Elterngespräche zu führen, Bürotätigkeiten zu erledigen und Angebote stattfinden zu lassen. Nach einiger Zeit hat sich die Möglichkeit ergeben, in den Räumlichkeiten des Elterncafés – welche sich leider im Keller befanden und somit nicht leicht zu erreichen waren – eine Schreibtisch-Ecke einzurichten. Wenn man von niedrigschwelligen Zugängen für Eltern spricht, war dies nicht ideal. Ein Familiengrundschulzentrum lässt sich nur dann gut etablieren, wenn das ganze Schulteam voll und ganz hinter der Idee und unterstützend zur Seite steht. Es haben sich auch Stolpersteine bezogen auf die Zuständigkeiten im Arbeitsalltag ergeben. Ich wollte zum Beispiel einen Spiele-Nachmittag für die Familien organisieren. Ich habe Mobiliar und Spiele eingekauft, um diese anbieten zu können, weil ich gemerkt habe: Die Kinder spielen keine Gesellschaftsspiele, weder im Offenen Ganztag noch Zuhause. Deswegen wollte ich mit dieser Idee starten. Ein gemeinsames Angebot für Eltern und Kinder in der Schule. Doch auch hier gab es Stolpersteine. Es gab leider wenig Unterstützung, da das gemeinsame Verständnis und die Vision fehlten. Es war schwierig ein offenes Angebot für Familien aus dem Stadtteil an dieser Schule zu etablieren. Zu Beginn bin ich zwar hartnäckig geblieben, aber irgendwann haben alle Beteiligten entschieden, dass die Idee ein Familiengrundschulzentrum zu werden dort aktuell nicht umsetzbar ist.

Die Entscheidung zu treffen, tatsächlich den Standort zu wechseln, ist sicherlich nicht leicht. Welche Chancen und Herausforderungen stecken hinter dieser Entscheidung?

Isabel Schaefer: Eine Chance ist natürlich der Neustart. In den drei Monaten, die ich an der ersten Schule verbracht habe, habe ich viel gelernt, auch über Dinge, die ich hätte anders machen können. Auch für mich waren die Situation und der Job neu, deswegen sind manche Dinge einfach so gelaufen. Dadurch, dass ich nun nicht nur die Schule, sondern auch den Stadtteil gewechselt habe, sind neue Möglichkeiten und Angebote entstanden. Ich habe gemerkt, wie gut es funktionieren kann, wenn alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis entwickeln, was die Aufgaben und Ziele eines Familiengrundschulzentrums sind. Dann funktioniert die Arbeit viel besser und wir haben die Chance, das Familiengrundschulzentrum von Anfang an gut zu etablieren. Durch die vorherige Erfahrung war eine andere Herausforderung die Ungewissheit. Ich hatte bereits erlebt, wie es nicht gehen kann. Da fragt man sich: Was, wenn das noch einmal passiert? Es kamen auch persönliche Zweifel auf, ob das Scheitern an der anderen Schule an mir lag. Aber nein. Ich habe viel Zuspruch erhalten. Es funktioniert eben nur als Ganzes. Es war ein langer Prozess von dem Moment an, an dem wir wussten, wir wechseln den Standort, bis zu dem Moment als ich den Schlüssel zur neuen Schule in den Händen gehalten habe.

Wie lange hat der Wechsel dann tatsächlich gedauert?

Isabel Schaefer: Viereinhalb Monate. In der Zeit habe ich drei andere Familiengrundschulzentren des Kreisverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) unterstützt. Ich war wochenweise immer an einem anderen Familiengrundschulzentrum. Davon habe ich sehr profitiert, denn ich habe überall einen Einblick bekommen und gesehen, wie andere Familiengrundschulzentren Angebote umsetzen, obwohl wir untereinander auch sehr gut im Austausch sind. Vor Ort zu sein und die Schulen kennenzulernen war hilfreich und ich konnte schon das ein oder andere für den neuen Standort vorbereiten. Die nächste Herausforderung war dann, dass alles noch einmal von vorne losgeht. Ich musste mich bei den Eltern vorstellen, das Kollegium der Schule für die gemeinsame Entwicklung gewinnen und Kontakte im Stadtteil knüpfen. Am Anfang ist ungewiss, ob die Menschen das Konzept und die Angebote annehmen. Hier hat es sehr gut funktioniert und ich bin froh, dass ich durchgehalten habe. Es hat sich gelohnt. Hier läuft es so, wie es laufen soll. Und das von Anfang an!

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Gregor Entzeroth und Marisa Klasen, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Bielefeld
Schule: Familiengrundschulzentrum Osingschule Bielefeld